MAN
SD 74 bei der BVG Es
liegen weitere Beschreibungen vor zum SD 200: Bereits
wenige Monate nach der Indienststellung der beiden Prototypen der neuen Fahrzeugbauart
MAN SD 200 (Wagen 2514 und 2515) im August 1974 wurden von der BVG im
Frühjahr 1975 weitere 23 Busse dieses Typs beschafft. Diese erste
Serienlieferung der MAN-Standard-Doppeldecker umfasste die Wagennummern 2623
bis 2645 und wurde BVG-intern SD 74 bezeichnet.
Mit diesem neuen Bustyp wurden gegenüber seinen Vorgängern der Bauart DE sowohl
optisch als auch bei der Fertigung neue Wege beschritten - die
Fahrgestelle der SD 200 wurden bei MAN in Salzgitter gefertigt, dort mit
technischen Komponenten versehen und die Busse bei den verschiedenen
Aufbauherstellern in Berlin lediglich karossiert und endausgebaut.
Die selbsttragenden SD-Busse waren - einer entsprechenden EG-Norm folgend,
die eine Neukonstruktion der Berliner Doppeldecker erforderte - nun
statt mit dem bewährten Büssing-U7-Motor (156 PS) mit einem MAN-Motor der
Bauart D 2556 MXUH (192 PS) und einem Voith-506-Diwabus
Getriebe mit zwei Fahrstufen versehen.
Erst
die SD 200 ab dem Baujahr 1976 sollten ein Dreistufengetriebe vom Typ
Voith-851 und einen leicht modifizierten Motor der Bauart D 2556 MUH mit
größerem Hubraum erhalten.
Die
3,99 Meter hohen Busse der Bauart SD 74 verfügten über 35 Sitzplätze sowie
acht Stehplätze im Unterdeck. Weitere 53 Sitzplätze waren über die gegenüber
der Ausstiegtür angeordnete Treppe zum Oberdeck erreichbar. Das zulässige
Gesamtgewicht der Busse betrug 16.300 kg.
Wie
bei der BVG üblich, wurde der Auftrag zur Endfertigung an verschiedene
Berliner Aufbauhersteller vergeben, weshalb die Wagen 2623 bis 2630 (acht
Fahrzeuge) durch die Firma Gaubschat und die Wagen 2631 bis 2645 (15
Fahrzeuge) durch die Firma Waggon Union gefertigt wurden.
Die
Indienststellung der Fahrzeuge der Bauart SD 74 erfolgte mit den Wagen 2623
bis 2625 und 2627, beginnend ab Februar 1975. Als letztes Fahrzeug gelangte
der Wagen 2633 Ende April 1976 zur BVG. Mit diesem Bus sind zuvor beim
Hersteller technische Versuche durchgeführt worden, weshalb sich die
Indienststellung dieses Busses bei der BVG um ein Jahr verzögerte.
Als
Kuriosum erwies sich, dass die Wagen 2623 bis 2625 und 2627 - und somit die
ersten Serienfahrzeuge der Bauart SD 200 überhaupt - bei Indienststellung gar
nicht für den Linieneinsatz vorgesehen waren. Die Busse waren vielmehr dafür
bestimmt, die Nachfolge der zuvor verwendeten Wagen 1638 und 1656 (beides DF
64); 1796 und 1797 (beides DE 67) anzutreten, die als so genannte Arbeitskräftewagen in den Sommermonaten im Auftrag der Stadt Berlin im Bundesgebiet
unterwegs waren, um in Berlin dringend benötigte Fachkräfte zu einem
Umzug in die damals noch eingemauerte Stadt zu bewegen. Die vier Busse waren
daher - anders als die für den Linienbetrieb in Berlin vorgesehenen Fahrzeuge
dieser Serie - mit einem Dreistufengetriebe der Bauart Voith 851 und einer
modifizierten Antriebsachse ausgestattet worden, die eine höhere
Reisegeschwindigkeit als die 76 km/h der Linienwagen und somit eine größere
Laufruhe auf Langstreckenfahrten ermöglichte. Auch waren die Busse für ihren
fortwährenden Sondereinsatz im Oberdeck als Film-Vorführraum und im Unterdeck
mit Sondereinbauten und Beratungsplätzen versehen, womit ein Linieneinsatz
dieser Busse nicht möglich war.
Während
die Wagen 2623 bis 2625 und 2627 bei Indienststellung aufgrund ihrer
besonderen Verwendung dem Betriebshof Lichterfelde zugewiesen wurden,
gelangten die Wagen 2628 bis 2645 vom Betriebshof Cicerostraße aus zum
Einsatz. Lediglich der Wagen 2626 wurde dem Betriebshof Zehlendorf zugewiesen. Die Konzentration der
Linienwagen auf den Betriebshöfen Cicerostraße und Zehlendorf erfolgte vor
dem Hintergrund, dass die neuen Busse zunächst nur auf der damaligen
West-Berliner Prestige-Linie 19 (heute M19) zum Einsatz kommen sollten. Diese
Linie wurde damals bis auf einen vom Betriebshof Zehlendorf gestellten Wagen
ausschließlich vom Betriebshof Cicerostraße aus bedient.
Als
erstes Fahrzeug der Bauart SD 200 ist der Wagen 2631 mit einer Werbung
versehen worden, denn dieser Bus war bereits bei der Indienststellung am 13.
April 1975 mit einer Eigenwerbung für die BVG beschriftet ("BVG -
Vernunft auf Rädern"). Im September 1974 wurde dieser Wagen als
Vertreter der neuen Doppeldeckerbauart und wegen seiner Werbung für den
Eigentümer im Rahmen der Berliner Industrieausstellung auf dem Messegelände
dem interessierten Fachpublikum präsentiert.
Im
Oktober 1978 endete für die Wagen 2623 und 2627 der Einsatz für die
Arbeitskräfteanwerbung. Beide Busse sind zu Linienbussen umgebaut (die
Sonderausstattung wurde entfernt und die Busse wurden bestuhlt) und
entsprechend des damals laufenden Umbauprogramms für die noch neuen Wagen
3138 - 3162 der Serie SD 78 mit
einer zweiten Treppe zum Oberdeck versehen worden. Eine technische Anpassung
der beiden Wagen an die restlichen Wagen der Serie SD 74 erfolgte hingegen nicht;
beide Busse waren bis zur Ausmusterung weiterhin mit einem Dreistufengetriebe
sowie der modifizierten Antriebsachse versehen. Nach dem erfolgten Umbau der
Wagen 2623 und 2627 zu Linienbussen im Dezember 1978 kamen beide Wagen - wie
der Rest der Serie, bis auf Wagen 2626 - vom Betriebshof Cicerostraße aus zum
Einsatz.
Als
erstes Fahrzeug der Serie SD 74 gelangte der Wagen 2644 in die damals bei
BVG-Doppeldeckern übliche Aufarbeitung. Diese war an ihm im August 1980
abgeschlossen. Als letzter aufgearbeiteter SD 74 gelangte der Wagen 2623 in
die Aufarbeitung, die an diesem im Dezember 1983 abgeschlossen war.
Eine
weitere Änderung bei der Serie SD 74 betraf die Stationierung der beiden
verbliebenen Fahrzeuge für die Arbeitskräftewerbung, Wagen 2624 und 2625:
Beide Busse sind im Winter 1981 vom Betriebshof Lichterfelde zum Betriebshof
Müllerstraße umstationiert worden. Bis auf die vier Wagen für die
Arbeitskräftewerbung ist kein SD 74 jemals umstationiert worden.
Im
März 1987 wurde während eines Einsatzes im Bundesgebiet das rückwärtige
Kennzeichen des Wagens 2624 entwendet, weshalb dieser Bus - als einziger SD
200 der BVG überhaupt - aufgrund eines Kennzeichenverlusts umgemeldet werden
musste. Fortan wurde der Bus 2624 unter der neuen Wagennummer 2622 geführt.
Als
erstes Fahrzeug der Bauart SD 74 schied zum 30. November 1984 der Wagen 2626
in Folge eines Unfalls aus dem BVG-Bestand aus. Zwar wurde der Bus wieder
hergerichtet, er gelangte jedoch nicht mehr zurück in den Liniendienst,
sondern wurde stattdessen in die damals noch auf dem Betriebshof Britz
beheimatete Sammlung historischer Fahrzeuge der BVG eingereiht. Als diese im
Jahr 1993 aufgelöst worden ist, bewies die BVG eine ebenso große Weitsicht
wie beim schon Aufbau der Fahrzeugsammlung. Die für das Deutsche
Technikmuseum nicht interessanten Fahrzeuge wurden 1993 der Traditionsbus
angeboten, da wir gegenüber anderen Interessenten als einzige die Verwendung
der Exponate als das planten, was sie waren: für jedermann erlebbare
Zeitzeugen der Berliner Verkehrsgeschichte. Mit dem Zugang der fünf Oldtimer aus
der BVG-Sammlung (Wagen 237, 1126, 1629, 1658 und eben 2626) ist ein
Grundstein für die heutige Fahrzeugsammlung gelegt worden.
Der
Einsatz von SD 74 im BVG-Liniendienst endete am 29. April 1988, als im Vorgriff
auf einen anstehenden Fahrplanwechsel und mit vollständiger Indienststellung
der Fahrzeugserie D 87 die Wagen 2623, 2627, 2629, 2636, 2637 und 2644
abgestellt werden konnten.
Nach
dem Fall der Mauer endete auch der Einsatz der für die Arbeitskräftewerbung
verbliebenen Wagen 2624 (jetzt als Wagen 2622) und 2625 im Frühjahr 1990. Die
Wagen wurden nun mit einer Totalwerbung für die Deutsche Hotel- und
Gaststätteninnung (DEHOGA) versehen und waren im Sommer 1990 noch für
Promotionszwecke der DEHOGA im Einsatz. Im August 1990 schieden auch die
letzten beiden SD 74 aus dem BVG-Bestand aus.
Von
den einst 23 Wagen der Bauart SD 74 sind heute nur noch wenige Exemplare
vorhanden. Einerseits, weil nach deren Ausmusterung mit den Wagen 2628 -2632,
2634 und 2636 - 2645 bereits 16 Fahrzeuge verschrottet worden sind (2628
wurde zwischenzeitlich noch als Materiallager verwendet), andererseits, weil
von der BVG ausgemusterte Fahrzeuge oft bei ihren Nachnutzern keine so
nachhaltige Pflege erhalten wie zu BVG-Zeiten.
Lediglich
die vier ehemaligen Arbeitskräftewagen 2622 (ex 2624), 2623, 2625 und 2627
sowie der Museumsbus
2626 existieren noch heute: Während 2626 als einziger im Originalzustand
erhaltener SD 74 ein hoffentlich noch langes Dasein als Museumsfahrzeug
führen wird, wird der Wagen 2622 (ex 2624) von der Firma Pokra heute als
Aufenthaltsbus für Filmteams vermietet. Der Wagen 2625 kommt als
Stadtrundfahrtbus in Potsdam zum Einsatz.
Der
Wagen 2623 ist nach mehreren Zwischenbesitzern zuletzt als Stadtrundfahrtbus
in Dresden verwendet worden. Bus 2627 kam zuletzt als Schulbus für ein
Unternehmen in Niedersachsen zum Einsatz und wurde nach einer Verwendung als
Ersatzteilspender als auf einem Kinderspielplatz als Spielbus aufgestellt.
Text: Christian
Neuhaus Anmerkung: In dem hier verlinkten Artikel der Berliner Verkehrsblätter werden nicht alle Fahrzeuge genannt, die tatsächlich als so genannte Arbeitskräftewagen im Einsatz waren.
Entgegen der Angabe im Artikel erfolgte die Umsetzung der Wagen 2624 und 2625 zum Betriebshof Müllerstraße nicht im Jahr 1980, sondern erst im Winter 1981/1982.
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Bereits am 27. September 1974 und damit über ein halbes Jahr vor der Zulassung wurde 2631 auf der Deutschen Industrieausstellung in den Messehallen am Funkturm präsentiert. Foto: B. Hoff |
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Moderne Zeiten: auf dem neuen Doppeldecker-Typ SD wird die HiFi-Kassette beworben. Das Foto entstand am Rathenauplatz. Foto: Kutschkau |
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Fahrgastwechsel am Henriettenplatz am westlichen Ende des Ku-Damms mit 2635. Foto: Kutschkau |
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Die rollende Schrankwand: mit 2645 trug der numerisch letzte SD 74 eine eindurcksvolle wie handwerklich aufwendige Werbung für ein großes Möbelhaus. Foto: Kutschkau |
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Fototermin
im Schneematsch: Im Winter 1988 / 1989 posiert der Wagen 2622 (ex 2624) auf dem
Gelände des Betriebshofes Müllerstraße.
Foto: R. Messer
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Unterhalb
der Frontscheiben ist der Schriftzug des Aufbauherstellers Gaubschat aus
Neukölln angebracht, der nur Wagen des Typs SD 74 zierte. Auch wenn der SD erst nach der Übernahme von Büssing durch MAN entwickelt worden ist, ziert ein BÜSSING-Schriftzug die Fahrzeugfront.
Foto: R. Messer |
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Unterhalb
des Fahrerfensters ist ein zusätzlicher Schriftzug als Eigentümerbezeichnung
angebracht, der nur für den Einsatz außerhalb Berlins erforderlich ist.
Innerhalb der Stadt reicht das BVG-Wappen zur eindeutigen Zuordnung zum
Betreiber aus.
Foto: R. Messer
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Anstelle der Linienanzeigen vorne und hinten stellten elektrische Gebläse einen Luftaustausch im Fahrzeug sicher. Foto: R. Messer
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Im
Innenraum waren die Arbeitskräftewagen mit Einbauten für die Berlin-Werbung
versehen…
Foto: R. Messer
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…während
im mittels Berlin-Motiven verdunkelten Oberdeck Werbefilme gezeigt werden
konnten.
Foto: R. Messer
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Und
so sah das alles dann live und vor Ort aus. Wagen 2622 steht im Winter 1989 /
1990 vor dem Aufnahmelager in Berlin-Marienfelde. Gut ausgebildete
Arbeitskräfte musste man nun nicht mehr im Bundesgebiet abwerben, sie fanden
aus den ehemaligen Ostblockstaaten von alleine nach Berlin.
Foto: R. Messer
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Im
Winterschlaf. 2622 (im Gegensatz zum Foto oben nun ohne den niedlichen
Gaubschat-Schriftzug auf dem Frontschweller) und 2625 waren nur in den
Sommermonaten unterwegs und verstaubten im Winter in der Fahrzeughalle.
Foto:
R. Messer
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Nach
dem Einsatz für die DEHOGA gab es bei der BVG für die beiden Wagen keine
Verwendung mehr.
Foto:
E. Schulz
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Dirk
Poguntke fotografierte im Jahr 1986 den Wagen 2629 an der Endstelle der Linie
86 am S-Bahnhof Grunewald.
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Die
„Wagen hält“-Anzeige im Oberdeck über der Frontscheibe ist nicht
mittig angebracht, weil diesen Platz bereits ein Lautsprecher für sich
beansprucht.
Foto: D. Poguntke |
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Foto:
D. Poguntke
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Die
erste Werbung auf einem SD 200 war eine Eigenwerbung für die BVG auf 2631.
Foto:
E. Schulz
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Erhardt
Schulz gelang die Aufnahme des Wagens 2637 in buntem Lack an der Endstelle Lindenstraße in Lichterfelde.
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