1925
100 Jahre ist es her, dass die ersten als Doppeldecker bezeichneten Busse der ABOAG (Allgemeine Berliner Omnibus Aktien-Gesellschaft) in Betrieb gingen. Das Unternehmen beschaffte in diesem Jahr einen Bus aus London, einen aus Chicago und gab einen Wagen auf einem N.A.G.-Fahrgestell Typ KO 9/1 bei den Wagenbauwerken, Vor dem Schlesischen Tore 1 in Berlin SO33 in Auftrag. Dieser Prototyp mit der Wagennummer 280 befand sich vermutlich ab September 1925 im Fahrdienst. Eine kleine Serie von 15 Bussen folgte relativ bald. Das besondere an diesen Fahrzeugen: Sie verfügten über ein Dach auf dem Oberdeck, was für die Fahrgäste oben eine deutliche Verbesserung des Komforts und der Sicherheit bedeutete. Und in Abgrenzung zu den vorigen Konstruktionen, den Decksitzwagen, fand sich der Begriff Doppeldecker. Richtig alt wurden diese Busse nicht. Der Londoner und Chicagoer waren als Exoten nur bis 1928 unterwegs und der Prototyp 280 sowie die Wagen der folgenden Kleinserie waren bis spätestens 1935 ausgemustert, da ab diesem Zeitpunkt Elastikbereifung (Vollgummiräder) verboten waren.
Anders verhielt es sich mit der ab 1927 in Dienst gestellten Großlieferung von N.A.G.-Doppeldeckern Typ D2. Das Fahrgestell (KO 9 / 3) samt Motor und Getriebe wurde wie bei vorigen Serien von der Nationalen Automobil Gesellschaft in Berlin-Oberschöneweide produziert, dies in enger Kooperation mit der ABOAG. Die Aufbauten stammten von Orenstein & Koppel, den Wagenbauwerken und lediglich zwei Stück von der Waggonfabrik Uerdingen. 175 Busse der Bauserie D2 entstanden bis zum Jahresende 1928. Das ist für diese Zeit, in der die Straßenbahn den Personentransport in Berlin dominierte, eine äußerst beachtliche Stückzahl. Mangels Neubeschaffung von Fahrzeugen während des zweiten Weltkriegs waren diese Doppeldecker in West-Berlin bis 1954 und in Ost-Berlin bis 1958 im Einsatz - 30 Jahre! Zwei solcher Exemplare existiert heute noch, Wagen 750 in der Obhut des DVN und 787 im Depot des Deutschen Technikmuseums Berlin. Leider ist 750 wegen eines Getriebeschadens nicht fahrfähig. Diesen Bus haben wir auf unserer Traditionsfahrt am 10.09.2023 durch die Präsentation in Staaken am Heidebergplan gewürdigt.
Wie Ihnen vom Hörensagen bekannt sein wird, waren die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht nur golden, Stichwort Hyperinflation und sich anbahnende Weltwirtschaftskrise. Durch Aufkäufe anderer Fahrzeughersteller und einen vermutlich verringerten Absatz von PKW und Nutzfahrzeugen kam die N.A.G. in wirtschaftliche Schwierigkeiten und wurde auf Druck einer Bank im Nutzfahrzeugbereich in eine gemeinsame Gesellschaft mit Büssing in Braunschweig zum 1. Januar 1931 überführt. Das Unternehmen firmierte nun unter Büssing-NAG und stieg zum Marktführer im Deutschen Reich auf.
1975
Vor 50 Jahren begann die Serienproduktion der SD Doppeldecker, der Typ, der mit 956 Bussen für Berlin mit einem kleinen Vorsprung vor der Gesamtproduktion von D2U-Autobussen liegt, von denen nur 930 für die BVG gebaut wurden. Somit ist der SD plus 8 Wagen für Travemünde und 2 MAN-Vorführbussen = 966 Einheiten der am meisten gebaute Linien-Doppeldeckbus auf dem europäischen Kontinent. Hinzu kommen geschätzte 200 Stück für den Irak, die jedoch konstruktiv deutlich vom Berliner SD 200 (so die Bezeichnung seitens MAN) abwichen. Nachdem die beiden Prototypen 2514 und 2515 im August 1974 in Betrieb gegangen waren, folgten am 20.02.1975 vier Busse (2623, 2624, 2625 und 2627) der Arbeitskräftewerbung für West-Berlin in der Bundesrepublik Deutschland (Westdeutschland), getreu der Devise: Wenn wir schon Geld in die Hand nehmen und Werbung für Berlin machen, um Arbeitskräfte in unsere Stadt zu holen, dann bitte mit dem Modernsten vom Modernen, was wir zu bieten haben. Bereits im Jahr 1974 gebaut und auf der Industrieausstellung Ende September 1974 präsentiert, folgte am 13. April Wagen 2631 mit dem Slogan, der so gar nicht zum heutigen Marketing-Konzept der BVG passt – Vernunft auf Rädern. Und ab dem 29. und 30. Mai 1975 ging es dann richtig los mit der Zulassung einer größeren Anzahl von SD´s, hierunter auch unser Wagen 2626. Ab sofort konnten diese hochmodernen Doppeldecker auf dem Kurfürstendamm bestaunt und genutzt werden. Die Konstruktion dieser Busse stellte wieder ein absolutes Novum dar. Der Heckmotor, der nun bei der BVG erstmals im Doppeldecker Verwendung fand, war schon lange Standard im Busbau, aber nicht, dass dieser seitlich links im Fahrzeug angeordnet ist. Mir wurde vor ca. 20 Jahren die Ehre zuteil, den Konstrukteur der Bodengruppe, der Anfang der siebziger Jahre noch für Büssing arbeitete, kennenzulernen. Er war zwar von seiner Arbeit überzeugt, deren Herausforderung es war, das Fahrzeuggewicht trotz seitlich im Heck liegenden Motor und Getriebe gut zu proportionieren und die Festigkeit des Gerippes zu gewährleisten. Als die Abnahmefahrt mit einem der beiden Prototypen im Beisein des BVG-Direktors Schneider stattfand und dieser vorschlug auf die Autobahn zu fahren, da ist wohl den anwesenden Technikern ein wenig das Herz in die Hose gerutscht. Aber es lief alles nach Plan und wie oben bereits geschrieben, 956 Fahrzeuge sind Beweis für die Solidität der Konstruktion. (Wobei wir als Betreiber solcher Busse für die Ewigkeit schon einige Verbesserungsvorschläge hätten...) Unser 2626 wird dieses Jahr also 50 und von Ihnen, liebe Leser und Fahrgäste, auf Sonderfahrten und gelegentlich auf der Linie 218 zu sehen sein.
Parallelität der Ereignisse: Ende 1930 wurde die N.A.G. von Büssing „geschluckt“. 1972 wurde Büssing von der MAN Nutzfahrzeuge AG übernommen.
Anmerkung: Busse vor 100 Jahren waren so komplett anders als heutige Fahrzeuge. SDs, die nun 50 Jahre alt werden, sind zwar auch nicht mehr taufrisch, stehen aber bei uns betriebsstabil dauerhaft im Einsatz.
2000
Am 20. April 2000 - einem Gründonnerstag - begann der tägliche Einsatz eines Traditionsbusses auf der damaligen Linie A18. Was heute für viele Alltagssch… ist, war zu diesem Zeitpunkt ein Quantensprung. 25 Jahre ist das nun her, und der Betrieb eines historischen BVG Busses auf dem 218er möge bitte noch für laaaange Zeit bestehen. Die ersten 10 Jahre waren wir relativ konsequent mit Büssing DE Doppeldeckern unterwegs. Nun sind es vorrangig SD- und D-Busse, die den historischen Betrieb dominieren. Aber auch DE oder unser D2U Schaffnerwagen sowie jüngere Fahrzeuggenerationen wie DN (bald 30 Jahre alt) und DL sind gelegentlich zum Einsatz. All diese Busse haben ihre Fangemeinde. Durch den Einsatz im BVG-Fahrgastbetrieb kommt auch die junge Generation, die durchweg MAN DL-begeistert ist, in Kontakt mit Büssing-Fahrzeugen und lernt diese zu schätzen. Ständen diese Wagen im Museum, würde dies vermutlich nicht geschehen. Wir betreiben den letzten Bus unter BVG-Regie, in dem gegen Bargeld Papierfahrscheine verkauft werden. Aber wir sind auch innovativ. Auf dem 218er fuhr im Jahr 2023 unter unserer Regie der erste batterieelektrische Doppeldecker auf einer BVG-Buslinie. Ca. 5.000 Kilometer hat er dort zurückgelegt. Mir hat das Fahren des Busses sehr gefallen und meine Skepsis gegenüber der Elektromobilität genommen.
Unser Wunsch für die Zukunft: Historische BVG-Busse mögen bitte nicht als überflüssig und „Dieselstinker“ wahrgenommen werden, sondern als technische Denkmäler, die tatsächlich im realen Fahrgasteinsatz stehen und eine sinnvolle Arbeit verrichten, verbunden mit Erinnerungen und Emotionen für die Menschen, die sie sehen und mit ihnen fahren. Ferner könnten sich heutige Fahrzeugentwicklungen einige Dinge bei den historischen Autobussen abgucken, z.B. die Verjüngung des Aufbaus an der Front und am Heck, um z.B. besser und sicherer enge Kurven fahren zu können. Alle reden von Nachhaltigkeit, wir nicht. Wir sind es, weil wir unsere Busse „auf ewig“ nutzen.
1925 – 1975 – 2000: Das riecht nach Jubiläen! Also sollten wir uns etwas einfallen lassen. Natürlich haben wir bereits Ideen, die es nun gilt, in die Tat umzusetzen.
Stefan Freytag