Testeinsatz von Wagen 3045 im Auftrag von traffiQ in Frankfurt am Main (Dezember 2015)

Eine Geschichte, von der niemand ahnte, dass sie sich so entwickeln würde

Im Spätsommer 2015 erreichte uns die erste Email mit dem Gedanken, einen Niederflur-Doppeldeckbus zu Testzwecken in Frankfurt am Main einsetzen zu wollen. „Sie haben doch einen solchen Bus in Ihrer Sammlung. Wir sind willens, Sie zur Inbetriebnahme dieses Wagens finanziell zu unterstützen.“ So die Worte von traffiQ, der Nahverkehrsgesellschaft, die in Frankfurt den gesamten öffentlichen Personennahverkehr plant und der sogenannte Aufgabenträger ist.

Dem Zufall war geschuldet, dass wir uns eh mit 3045, unserem „Museums“-DN beschäftigten, um diesen zur Traditionsfahrt 2015 auf dem 100er einsetzen zu können. Gesagt, getan, 3045 wurde mit nicht wenig Aufwand instand gesetzt: Etliche Schweißarbeiten im Unterboden, Erneuerung des Bodenkastens an der 3. Tür, neue Stabilisatoren und Stoßdämpfer für die Vorderachse, Instandsetzung der Bremsanlage, Austausch von Sitzen und Polstern, Teilerneuerung des Laufgangs samt Bodenbelag und und und.

Zur „Tradifahrt“ im Oktober 2015 bestand der Bus seine Bewährungsprobe und somit dachten wir, dem „Deal“ mit Frankfurt stünde nichts mehr im Weg, dachten wir. Nicht bedacht hatten wir den Faktor Ausnahmegenehmigungen für die Überführung nach Frankfurt und den Einsatz auf der dortigen Linie 34. Für Berlin war alles geregelt, aber andere Bundesländer ticken anders. Wir leben halt in einem vom Föderalismus geprägten Staat, zumindest in puncto Straßenverkehrsbehörden. Quasi auf den letzten Drücker lagen dann doch alle Genehmigungen vor. Auch die Frankfurter Kollegen hatten übrigens am Anfang nicht geahnt, welche Hürden da auf sie zukommen. Aber am 10. Dezember erreichten uns die VEMAGS-Genehmigungen, so dass wir uns zwei Tage später auf den Weg nach FFM machen konnten. Zuvor waren bereits dank Unterstützung der BVG die Fahrziele samt Innenanzeige der Haltestellen in den Bordrechner eingepflegt worden und die Karte für die Sprachansagen wurde am Sonnabend, dem 12. Dezember um 9.00 Uhr in den Bus eingesteckt, quasi als Startschuss für die Überführung. Diese verlief reibungslos und die Fahrer Mario und Dennis wurden vom Hauptinitiator des Projekts, Herrn Eckweiler von  traffiQ und seiner Frau, herzlichst willkommen geheißen. Es folgte am Sonntag die Einweisung auf der Linie 34, die je Richtung eine Fahrzeit von einer Stunde hat, also ein ganz schöner „Klopper“. Hinzu kam eine Schulung zum Befahren einer gemeinsamen Trasse von Straßenbahn und Bus mit entsprechenden Signalen, also das volle Programm.

Ein Pressetermin war für Montag früh um 6.45 Uhr anberaumt. Da denkt man sich, wer von der Presse kommt wohl zu dieser frühen Stunde. Aber man sollte nicht zu viel denken, denn Vertreter des Hessischen Rundfunks und etlicher Zeitungen waren zugegen. DPA versandte diese Nachricht bundesweit. Und auch „unsere“ Seite war gut vertreten. Der Verkehrsreferent der Stadt Frankfurt (quasi der Verkehrssenator) und der Geschäftsführer von traffiQ ließen sich von der frühen Stunde nicht schrecken. Und somit richteten sich alle Blicke, Kameraobjektive und Mikrofone auf unseren Mario, der als „langjähriger Linienbusfahrer der BVG“ auftrat, zumindest von der Presse so wahrgenommen und vorgestellt wurde. Um 7.00 Uhr startete 3045 dann mit Presse und Prominenz von der Endstation des 34ers an der  Mönchhofstraße zur Linienfahrt. Und gleich zu Anfang waren viele Fahrgäste, die nun zufällig in den Doppeldecker auf ihrer Linie einstiegen, angetan bzw. ganz aus dem Häuschen. Dies sollte sich im Verlauf der kommenden Stunden und Tage eher verstärken als abflauen.

Am Montag Nachmittag traf ich, Stefan Freytag, Verfasser dieser Zeilen, mit dem Zug in Frankfurt ein. Schnell das Gepäck ins Hotel gebracht, dann zur Schulung zwecks Trassenbefahrung und Kennenlernen der Linie 34. Ganz schön viel Informationen prasseln da auf einen ein. Denn am nächsten Tag durfte ich dann 3045 auf Linie fahren. Mario musste nämlich am Montag Abend nach Berlin zurück, denn so nebenbei hat er ja auch eine hauptberufliche Tätigkeit. Dennis wurde dankenswerterweise seitens der BVG für diesen Einsatz freigestellt. 

Unsere Schicht ging von morgens 6.00 / 6.30 Uhr, je nach Einsetzweg ab Betriebshof Rebstock, bis 21.30 / 22.00 Uhr, also gut zu tun für je 2 Fahrer am Tag. Gott sei Dank war die Revisionshalle des Betriebshofs, in der auch getankt wird, für den 4.12 Meter hohen Bus befahrbar. Begleitet wurden alle Fahrten von einem Schaffner, der mittels Aushang am Bus für die Fahrgäste auch als solcher betitelt wurde, da unser BVG-Fahrscheindrucker nicht für die Fahrkartenausgabe des Frankfurter Tarifs geeignet ist.

Nach den ersten Runden hatten wir Fahrer die nötige Routine, um entspannt mit 3045 unsere Runde zu drehen und das typische DN-Flair zu genießen: Langsam an Steigungen, Schaukeln bei unebener Fahrbahn, Motor- und Getriebejaulen und das jui-jui-jui beim Ausrollen aus höherer Geschwindigkeit. Türen auf, Türen zu, abfahren, anhalten, wie halt das Linienbusfahren so ist. Schön in Frankfurt sind die Haltestellenkaps, die wir fast nie von Fahrzeugen zugeparkt erlebt haben. Das korrekte Anfahren der Haltestelle und der gefahrlose Fahrgastwechsel am Bordstein wird hierdurch sehr erleichtert.

Unsere erste Erkenntnis lautete: Frankfurter Fahrgäste meiden die Vordertür zum Einstieg, zumindest oft dann, wenn sie (hoffentlich) im Besitz eines gültigen Fahrausweises sind. Die Leute stehen vor der Vordertür und laufen zur Mitteltür zwecks Einstieg. Denn in FFM ist seit Jahrzehnten der Einstieg an allen Türen gestattet. Da die Busunternehmen auf Vorgabe der Verkehrsplaner generell dreitürige Busse betreiben, wird auch die dritte Tür rege für den Zustieg genutzt, so auch bei 3045. Nach unserer Erkenntnis ist dies Prinzip aber eher hinderlich als förderlich. Es kommt zu unnötigen Verzögerungen beim Fahrgastwechsel. Die Vordertür wird eher für den Ausstieg genutzt. Sei es drum, dank unserer drei Türen im DN waren wir also in Sachen Einstiegsgewohnheiten der Frankfurter bestens gerüstet und hatten hierdurch keine Fahrzeitverlängerung im Vergleich zu den Subaru-vistablue (türkis) lackierten Bussen von Alpina, ICB-Bus, Sippel usw. Der Schaffnereinsatz wirkte beschleunigend, da wir Fahrer uns nicht mit dem Fahrscheinverkauf beschäftigten. (Also eigentlich hätten wir locker mit einem D2U fahren können und alles wäre problemlos gelaufen. Er wäre nur nicht niederflurig gewesen.) Hinderlich waren dann aber oft die Sondersignalanlagen, die im Normalfall über Fahrzeugfunk geschaltet werden, der bei uns aber nicht installiert war. Alles im allem waren die vorgegebenen Fahrzeiten im Normalfall zu halten. Die anfangs sehr skeptischen Frankfurter Busfahrerkollegen tauten mit der Zeit auf und schauten sich neugierig diesen „Fremdkörper“ auf ihrer Linie an. Einige ließen sich dann auch in 3045 fotografieren. Das muss wohl an den Fahrgästen gelegen haben, die vermutlich unentwegt fragten, wann denn der Doppeldecker kommt. Denn was von den Fahrgästen so begehrt wird, kann ja wohl doch nicht schlecht sein...

Somit nahm die Zahl der von uns beförderten Fahrgäste konstant zu, weil viele den Doppeldecker gerne mal ausprobieren wollten. Und diese Linie hat täglich reichlich Fahrgäste und fährt im Berufs- und Schülerverkehr bereits alle 6 Minuten, was der Grund für die Überlegung zum Einsatz von DD-Bussen ist. Die Stimmung entwickelte sich extrem positiv. Viele Menschen zückten Fotoapparate und Smartphones, selbst Frauen mit Kopftuch um die 60 Jahre alt waren begeistert und machten Fotos. Selbstverständlich fanden sich auch die örtlichen Nahverkehrs-Freaks nach und nach ein. Ein Gefühl wie auf einer Traditionsfahrt stellte sich ein. Auch etliche Exil-Berliner machten uns ihre Aufwartung und freuten sich über ein Stück alter Heimat in Frankfurt. Etliche Frankfurter erinnerten sich auch an die Büssing Präfekt Doppeldeckbusse, die von 1968 bis 1976 in dieser Stadt auf einigen Linien anzutreffen waren, auch auf dem 34er. Als Reminiszenz an diese Busgeneration hatten wir einige Fotos dieser Wagen in 3045 ausgehangen.

So ging es bis zum Sonnabend, ein Begriff, den in Frankfurt niemand kennt. Da heißt es Samstag. Um 18.00 Uhr endete die letzte Linienfahrt an der Endhaltstelle Mönchhofstraße und ich setze zum Betriebshof aus. Nur ein geplatzter Luftschlauch am Fahrersitz, der binnen 20 Minuten repariert war und ein über Nacht auf dem Betriebshof platt gewordener Reifen waren als Minuspunkte zu verzeichnen, die bei soviel plus aber nicht groß ins Gewicht fielen.

Als Dankeschön für unsere Dienste lud uns traffiQ zum Essen ein. Standesgemäß erreichten wir das Lokal mit der Buslinie 34, nun aber mit einem „normalen“ Linienbus. Und nun probierte ich zum ersten mal in meinem Leben eine hessische Landesspezialität, den Abbelwoi = Apfelwein. Für die Rückfahrt zum Hotel nahmen Dennis und ich natürlich wieder den 34er, der auch gegen 0.00 Uhr erstaunlich gut besucht war.

Noch zu erwähnen ist folgendes: ca. um 5.30 Uhr am Freitag Morgen nahm ich im Hotelzimmer einen Polizeiwagen wahr, der mittels Lautsprecherdurchsage die Anwohner, also auch mich, aufforderte, Fenster und Türen wegen eines Chemieunfalls geschlossen zu halten und nicht das Haus zu verlassen. Es folgte die Aufforderung, Radio oder Fernsehen wegen neuer Nachrichten einzuschalten. So etwas hatte ich bislang noch nicht erlebt. Es war dann doch keine Gift-Katastrophe – wir leben noch!

Dank des persönlichen Engagements eines Bussammlers aus dem Raum Frankfurt hatten wir die die Möglichkeit, das Museum der VGF (Verkehrsgesellschaft Frankfurt) zu besichtigen. Der Schwerpunkt liegt hier auf Straßenbahnen, aber mit einem Büssing Senator 12 R, einem DÜWAG-Gelenkzug und einem Ludewig-Obus sind auch die schienenlosen Nahverkehrsfahrzeuge mit interessanten Exponaten vertreten. Selbst ein Neoplan Plastikbus (Metroliner im Carbon-Design, MIC) findet sich dort. Auf dem Betriebshof Rebstock stießen wir auf einen sehr gepflegten O305 der VGF, einen Büssing Präfekt aus Gießen und einen O405 mit Schaltgetriebe, ebenfalls in der klassischen VGF-Lackierung beige-orange-grau der siebziger und achtziger Jahre.

Am Sonntag traten wir dann die Rückfahrt nach Berlin an, das wir auf der durch die Genehmigungsbehörden vorgeschriebenen Wegstrecke nach 9,5 Stunden ohne Probleme erreichten. Um die guten Erinnerungen an diesen ganz besonderen Einsatz wach zu halten, beschlossen wir, die Beschriftung, die extra für den Frankfurt-Einsatz auf 3045 angebracht wurde, vorerst zu belassen. Denn so etwas erleben der Bus und wir vorerst wohl nicht wieder. Ein 20 Jahre alter Wagen ebnet (hoffentlich) den Weg zur Beschaffung von Doppeldecklinienbussen für die Stadt Frankfurt. Nach diesem Test stehen die Signale klar in diese Richtung. (Oder ob nun auch andere Großstädte auf den Geschmack kommen und überlegen, Doppeldeckbusse zur Lösung ihrer Verkehrsprobleme einzusetzen...?)

Stefan Freytag

 

Fotos: M. Lange (4), M. Gebhardt (8), P. Kunert (9)


zuletzt aktualisiert 7.2.2016