Sehr geehrtes sportbegeistertes Publikum!
Normalerweise dreht sich bei uns alles um den und die BVG-Bus(se). Das ist diesmal auch nicht unbedingt anders, wird aber unterstrichen durch die sportbegeisterten Besucher der olympischen Wettkämpfe vor 50 Jahren in München. Denn ohne diese Menschen hätte es den Einsatz von 40 BVG E2H-Eindeckern, den wir hier darstellen, und vieler weiterer Leihbusse in der bayerischen Landeshauptstadt nicht gegeben.
Für die Zeit der „Spiele“ vom 26. August bis zum 10. September 1972 standen 388 Busse aus Beständen der Bundeswehr, der US-Army, der Hersteller Daimler Benz, Klöckner Humboldt Deutz und MAN (hierunter einige Batterie-Elektrobusse!!!), der Bundesbahn und von Privatunternehmen nach Auskunft einer BVG-Broschüre zur Organisation und Durchführung der Sportler,- Presse- und Publikumsverkehre zur Verfügung. Das alles wurde von einem Stab an BVG-Mitarbeitern geplant und in München koordiniert. Hinzu kamen die bereits genannten 40 E2H´s (Büssing 110 SL Baujahr 1972) samt 80 BVG-Busfahrern und 12 Wagen aus Frankfurt am Main vom Typ Büssing 110 V.
Im Zuge des 50sten Jubiläums dieser Olympiade kam der OCM (Omnibus-Club München) zusammen mit dem MVG-Museum (MVG = Münchner Verkehrsgesellschaft) auf die Idee bei uns nachzufragen, ob es nicht möglich wäre, mit einem E2H nach München zu kommen. „Wir haben doch so einen Bus in unserem Bestand...“ waren die Worte von Wolfgang Weiß, dem Vorsitzenden des OCM, am Telefon. Das war Mitte Juli 2022 und eine Woche zuvor hatten wir nach laaanger Standzeit unseren Autobus 1957 (Büssing E2H 71) wieder für die Personenbeförderung zugelassen. Tatsächlich haben die Stadtwerke München ein vernünftiges Budget locker gemacht, um den Einsatz von 1957 zu finanzieren. Dank an dieser Stelle an Frau Schöfberger vom MVG-Museum! So kam es, dass unser nun über 50 Jahre alter Autobus die Ehre hatte, zur Langen Nacht der Museen in München am 15. Oktober zum Einsatz zu kommen. Vor der 600 Kilometer langen Anreise wurde ihm natürlich eine umfangreiche Wartung spendiert und etliche Kleinigkeiten im Innenraum aufgehübscht. Auch sein Äußeres wurde auf Olympia 1972 getrimmt. Dank der Großzügigkeit von Norbert Bunke erhielt 1957 die authentische Doornkaat-Werbung, die damals alle Berliner Münchener E2H´s trugen.
Eigentlich hatte ich mir gewünscht, mit einem weiteren Fahrer die Tour nach München und zurück zu absolvieren. Leider wurde daraus nichts und somit legte ich in Bayreuth eine Übernachtungspause ein, so wie damals die 80 BVG-Fahrer. Eine kleine Pension samt eigener Metzgerei bot mir ein preisgünstiges Quartier. Als ich nachts um 22.00 Uhr eintraf, wurden vom Metzgermeister gerade Wurstwaren für den Verkauf am nächsten Tag produziert. Tags darauf ging es weiter nach München, natürlich mit Proviant aus der Metzgerei. Auch wenn der Frankenwald nicht die Alpen ist, so war bergauf nur eine Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h möglich. Bergab und in der Ebene bin ich 60 bis 65 km/h gefahren. Mehr wollte ich 1957 nicht zumuten, obwohl die Höchstgeschwindigkeit mit 74 angegeben ist. Um 18:30 war ich in München, fand ohne Navi und Stadtplan dank einfacher Wegbeschreibung das MVG-Museum und wurde sehr freundlich von einem kleinen OCMler-Kreis empfangen. Am Sonnabend ging es dann mit den finalen Vorbereitungen zur Langen Nacht der Museen los. Natürlich habe ich dabei geholfen und auch einen Bus rangieren dürfen, den jüngsten Neuzugang des OCM, ein MAN SL 200 vom Baujahr 1977 mit der MVG-Nr. 4427 (übernommen im Juni 2022 von einem Karnevalsverein, kaum dort gefahren, immer in einer Halle gestanden und außen original).
Nach einer Einweisungsfahrt am Nachmittag folgte auch sofort der Einsatz auf dem O7, der Linie, die von ca. 17:30 bis 1:30 das MVG-Museum einschließlich mehrerer Unterwegshaltestellen mit dem Odeonsplatz verbindet, dem zentralen Verkehrsknoten zur Langen Nacht der Museen, Taktfolge 20 Minuten. Zeitweise waren bis zu 80 Fahrgäste im Bus und ich bat die Zusteigenden, freundlich nach hinten zu drängeln. Tatsächlich kam es auch in München zu Straßensperrungen wegen einer Demonstration. Aber im Gegensatz zu Berlin, wo immer alles für den Fahrzeugverkehr abgesperrt wird, fuhr ich auf einer Strecke einen Meter entfernt vom friedlichen Demonstrationszug auf der Gegenfahrbahn. Die Stimmung bei den Fahrgästen und mir war gut und wie mich einige kennen, gab ich reichlich Kommentare und Erklärungen zum Bus über die Bordsprechanlage. 1957 drehte insgesamt 6 ½ störungsfreie Runden. Da alle um 2.00 Uhr nur noch schnell ins Bett wollten, fuhr ich mit meiner historischen Dienstkleidung auf dem Fahrrad ins Hotel.
Tags darauf wollte ich mir einen der Orte ansehen, an dem das olympische (Bus-) Leben 1972 pulsierte, das Olympiazentrum, das gut mit der U-Bahn erreichbar ist. Ja, die Wohnhochhäuser, die ich von vielen Fotoaufnahmen kannte, waren sofort am U-Bahnausgang zu sehen. Ich schlenderte mit meiner mausgrauen Dienstkleidung samt Mütze (meine Privatsachen lagen verschlossen im MVG-Museum) durch das olympische Dorf. Viele junge Leute kamen mir entgegen. Und plötzlich sprach mich eine junge hübsche Frau an und lud mich auf einen Tee in ihre Studentenwohnung ein. Das muss wohl an meinem ungewöhnlichen Outfit gelegen haben… Wir sprachen vielleicht eine Stunde miteinander auf Deutsch und Englisch. Denn die Dame kommt aus Tunesien und studiert nach Ihrer Auskunft Elektrotechnik. So rutschte ich unversehens in eine andere Welt. Eine sehr interessante Erfahrung! Leider hat sie mir bis heute nicht das Foto zugeschickt, das ihr Nachbar von uns beiden aufgenommen hat. Den Sonntagnachmittag verbrachte ich im MVG-Museum und half den OCM-Mitgliedern beim Rangieren ihrer Busse ins Museum. Die haben dort zwar kostenfreie Plätze für einige ihrer Wagen. Aber bei etlichen Veranstaltungen im Museum, das oft als Eventlocation genutzt wird, müssen Straßenbahnwagen und Busse rangiert und oft auch aus der Halle gefahren werden. Es war gut, den Alltag eines anderen „Busvereins“ samt dessen Problemen und Nervereien erlebt zu haben. Natürlich waren wir abends Essen und haben uns Geschichten erzählt. Der OCM und das MVG-Museum waren sehr glücklich über den Einsatz von 1957 in München. Und ihr Besuch 2009 mit einem Münchner Bus bei uns in Berlin und dessen Einsatz im BVG-Linienverkehr ist dort unvergessen.
Die Rückfahrt am Montag und Dienstag, erneut mit einer Übernachtung in der bekannten Pension in Bayreuth, verlief reibungslos. Da der Text nun schon viel zu lang ist, erzähle ich nicht die spannende Geschichte, wie ein achtachsiger Kran samt vier Tiefladern und einem nachts angelieferten Brückensegment die nächtliche Dorfruhe in Oberkonnersreuth auf den Kopf stellte…
Fazit: Es war eine gute Entscheidung, mit 1957 an die Olympischen Spiele von 1972 in München erinnert zu haben. Es gab keine Medaillen zu gewinnen, aber das Motto „Dabeisein ist alles“ galt umso mehr!
Stefan Freytag