1957 fährt wieder – 50 Jahre E2H-Autobusse in Berlin

Liebe Leserin, lieber Leser,

Die Überschrift trägt zwei Inhalte, die für Sie vielleicht als Laien auf dem Gebiet der BVG-Bushistorie nicht unmittelbar zusammenhängen. Bei denen, die sich auskennen, hat es natürlich sofort „klick“ gemacht!

Nach vierjähriger Abstellung wegen eines gravierenden Schadens an der linken Radnabe der Vorderachse – ein Radlager war gebrochen und zerstörte schlagartig das Teil, auf dem es sich zuvor noch drehte, fährt 1957, unser Büssing E2H 71, wieder. Dank modernster Stahlbearbeitungstechnik konnte die stark beschädigte Nabe durch Neuauftrag von Material und anschließender Bearbeitung zur Nachbildung der notwendigen Lauffläche für das Radlager sowie eines Gewindes für die Achsmutter wieder gebrauchsfähig gemacht werden. Denn als Neuteil ist diese Radnabe bei MAN natürlich nicht mehr erhältlich und auch auf Schrottplätzen sucht man solche Busse, die vor über 40 Jahren aus dem BVG-Dienst ausschieden, vergeblich. Ferner sollten Sie hierzu wissen, dass nur die erste Lieferung von 60 Wagen dieses im Jahr 1971 brandneuen Typs über einzeln aufgehängte Räder an der Vorderachse verfügte. Alles was danach kam, hatte eine Starrachse. (Hier hätten wir die entsprechenden Ersatzteile durch Zerlegung von 1939 – E2H 72 gehabt...) Nachdem die reparierte Radnabe nun schon seit 2 Jahren bereit lag, brauchte es das Streben und große Kompetenz, alles fachgerecht zusammen zu bauen. Es fehlten noch einige Bauteile, aber siehe da, unser sehr umfangreiches Ersatzteillager bietet manchmal mehr als man glaubt. Seit dem 13. November, der diesmal kein Freitag war, steht 1957 wieder auf allen vier Rädern! Und er steht nicht nur, sondern ist auch bereits mit eigener Motorkraft gefahren. Sie können sich bestimmt vorstellen, was sich für eine Staubschicht in 4 Jahren gebildet hat.

Nun haben Sie bereits das Jahr 1971 und den Begriff E2H 71 gelesen. Ja, 1971 war genau vor 50 Jahren. Und am 1. Dezember gingen der ersten Autobusse dieses bei der BVG absolut neuen Modells auf der Linie 68 in den Fahrgasteinsatz. Das war laut www ein Mittwoch. Nummeriert waren die Wagen von 2000 abwärts bis 1941. 2000, eine im Jahr 1971 richtungsweisende Zahl! Was war neu bei diesen Eindeckern im Vergleich zu den früheren Modellen? Außer dem Motor und dem dunkelgrünen Kunstledersitzbezugsstoffs alles: Große zweiflüglige Türen, viel Platz im Innenraum und Einstieg, große Fensterflächen, Motor und Getriebe im Heck. Und die Fahrer sahen zum ersten Mal ein total neu gestaltetes Armaturenbrett, das so viele Bedienschalter aufwies wie noch nie, alles ergonomisch günstig angeordnet. Ich denke sagen zu können, der Begriff Ergonomie hielt mit diesen Autobussen Einzug bei der BVG. Interessanter Weise verfügten diese Autobusse noch nicht über Entwerter, obwohl diese zeitgleich mit den Büssing DE 71 Doppeldeckern auf der Linie 16 eingeführt wurden. Ca. 1974 erfolgte dann bei etlichen E2H 71 die Nachrüstung mit diesen elektromechanisch betriebenen Helfern zur Fahrscheinentwertung. Vermutlich geschah das mit Blick auf die Umstellung der Linie 17 von Schaffner- auf Einmann-Betrieb zum 1. Juni 1975 zur Entlastung der Fahrer. Aber nicht alle Wagen erhielten diese roten Kisten, unser 1957 z.B. nicht.

Nach 8 bis 9 Jahren erfolgte dann bereits die Ausmusterung der E2H 71 (Eindecker – 2 Achsen – Heckmotor), Auch den Nachfolgeserien, die bis auf die Vorderachse relativ baugleich waren, war keine längere Einsatzzeit vergönnt. Nur wenige E2H 73 knackten die 10-Jahres-Marke. Wer von Ihnen schon etwas älter ist, der weiß, Rost gab es damals in den Fahrzeugen bereits ab Werk. Soll heißen, der Korrosionsschutz war in den Siebzigern mangelhaft. Die BVG begegnete diesem Phänomen durch Reparatur der Seitenbeblechung an etlichen Wagen, da die Unterkanten durchrosteten. Neuer Lack drauf und fertig. Nachhaltig, ein Begriff, der damals vielleicht noch gar nicht bekannt war, war das alles bestimmt nicht. In einem Punkt waren es diese Autobusse aber bestimmt: die Motoren stammten aus ausgemusterten D2U-Doppeldeckern. Diese wurden großteils bei der BVG überholt und bei Büssing für den Heckeinbau umgerüstet. So etwas würde heute nicht mehr möglich sein. (Ob zukünftig die Elektroantriebe der Batteriebusse nach deren Ausmusterung in späteren Neuwagen Verwendung finden werden? Beim Oberleitungsbus war das zumindest bis in die achtziger Jahre Standard.) Was wir aus eigener Erfahrung zur Qualität dieser ersten E2H-Autobusse beisteuern können, ist unsere Erkenntnis bei der Zerlegung des Wagens 1939. Die Außenbleche und die darunter liegenden Stahlprofile waren zwar nach 42 Jahren total durchrostet, aber die tragenden Streben des Unterbodens zeigten eine gute Substanz. Das sah später bei den MAN und Mercedes Eindeckern teilweise ganz anders aus!

Wenn Sie nun neugierig auf diese Revolution in der Busbeschaffung bei der BVG geworden sein sollten, dann heißt es für Sie, Geduld bewahren. Denn in 2021 wird 1957 garantiert nicht mehr in den Fahrgasteinsatz gehen. Daran ist auch das Corona-Virus schuld. Aber in 2022 gilt es dann nachzuholen, was zum 1. Dezember 2021 nicht möglich gewesen ist: Eine Würdigung des Jubiläums 50 Jahre E2H-Autobusse. Sie werden rechtzeitig davon erfahren. Wer mehr von Ihnen über diese Fahrzeuge erfahren will, der kommt uns im Depot in der Daumstraße besuchen. Denn Wagen 2000, der allererste E2H, steht verschlossen in der Monumentenhalle, einem Depot des Deutschen Technikmuseums Berlin. An dieser Stelle wandere ich mit meinen Gedanken kurz in ganz andere Sphären: 2 Autobusse der gleichen Lieferung werden in Berlin der Nachwelt erhalten, 2000 im DTMB und 1957 bei uns. Der einzige Unterschied: 2000 verfügt über Entwerter und zeigt sich im Look ab August 1979, der sich nur marginal von 1957 unterscheidet, der die Zeit von Juni 1972 bis Juli 1979 repräsentiert, wie gesagt, ohne Entwerter. Aber es sind halt 2 verschiedene Welten, die eines Museums und die von Traditionsbus Berlin. Allerdings fände ich es gut, wenn diese beiden Welten näher zusammenkommen würden. Denn für Sie, liebe Leserinnen und Leser, und auch für die „Exponate“, die Autobusse, kann das nur von Vorteil sein. Vielleicht haben 1957 und 2000, die getrennt „lebenden“ Busbrüder, 50 Jahre nach Ihrer Indienststellung noch einmal revolutionäres Potential in puncto Museumsarbeit und Traditionspflege. In beiden Fahrzeugen stecken viel Zeit und Geld. 2000 wurde von der BVG von Juni 1981 bis Januar 1982 für die museale Aufbewahrung gründlich saniert. Wir haben allein für die Grundinstandsetzung von 1957 im Jahr 1999 bei MANIKA in Güstrow 47.000 DM investiert. Mit vielen anderen Arbeiten, die noch angefallen sind, sind wir bestimmt bei umgerechnet 35.000 EURO.

Ich wünsche Ihnen eine gesunde und besinnliche Adventszeit, auch wenn das Corona-Virus leider wieder dabei ist, unseren Alltag zu bestimmen. Hoffen wir auf bessere Zeiten im kommenden Jahr und ein Wiedersehen mit unseren Traditionsbussen. Allerdings wissen Sie ja: Der 218er fährt jeden Tag historisch.

Stefan Freytag