Wagen 2778

MAN SD 76 I (SD 200)

Eigentlich haben wir uns für unsere Internetpräsenz die Aufgabe gestellt, nur die eigenen Fahrzeuge eingehend vorzustellen. Auch ergibt es für uns keinen Sinn, sich mit alten Bussen anderer Betriebe auseinanderzusetzen und Zeit dafür aufzubringen, diese dann auch noch textlich und bildlich ausführlich zu würdigen, solange es immer noch Fahrzeuge des eigenen Fuhrparks gibt, zu denen die Wort- und Bildbeiträge noch längst nicht so aussehen, wie wir es uns wünschen.

Der hier vorgestellte Bus ist dann aber doch etwas Besonderes, so dass er es uns wert ist, an dieser Stelle gezeigt zu werden. Und zugegeben, ein wenig hatten wir dann bei diesem Bus doch unsere Finger im Spiel, so dass eine Würdigung des Wagens letztendlich gerechtfertigt ist. Genug der Vorrede.

Als der Wagen 2778 im Jahr 1976 (genauer gesagt am 10. März) als einer von insgesamt 40 Fahrzeugen vom Typ SD 76 I (Bauart SD 200, Wagennummern 2773 - 2812, karossiert von Orenstein & Koppel) bei der BVG in Dienst gestellt wurde, war noch nicht absehbar, welch abenteuerliches "Leben" diesem Bus einmal beschieden sein sollte. Als einer von 14 Bussen (2773 - 2786) wurde der Bus bei Indienststellung dem Betriebshof Britz zugewiesen, dem der Wagen bis zu seiner Ausmusterung am 31. März 1989 treu blieb. Auch zu den am Wagen 2778 angebrachten Werbungen gibt es nichts Umwerfendes zu berichten: Zunächst warb die Schuhfirma Leiser mit der ersten Version ihrer Bandwerbung vom 23. Juni 1976 bis zum 20. Januar 1982 an dem Wagen. Als sich nach erfolgter Großreparatur zunächst kein neuer Werbepartner finden ließ, warb der Bus vom 10. Juni 1983 bis zum 1. August 1983 in eigener Sache für die Ausflugslinien der BVG. Am 3. August wurde diese Werbung von einer Heckwerbung für Raketenbrenner/MAN Ölbrenner (die hießen wirklich so) abgelöst, die aber am 28. Oktober 1983 schon wieder entfernt worden ist. Erst die vierte und letzte Werbung an 2778 erwies sich als beständiger, als mit einer Bandwerbung für Schultheiss-Pilsner (Version 3a) am 31. Oktober 1983 die Werbung angebracht wurde, mit der der Bus auch ausgemustert werden sollte.

Das eigentlich spannende, "zweite Leben" des Wagens 2778 begann erst jetzt, denn für den noch vor dem Fall der Berliner Mauer ausgemusterten Wagen fand sich im April 1989 tatsächlich ein Käufer aus der damals noch existierenden DDR, der den Wagen in Schwerin aufstellte und den Bus unter dem Namen "Eiscafé Ulrike" mit der Zulassung BC 27-97 als Imbißstube verwendete. Offenbar geschah dies aber bereits in der Phase einer zunehmenden politischen Entspannung in der DDR, da man sich selbst behördenseitig nicht an der noch am Bus vorhandenen kapitalistischen Bierwerbung störte. Aufgrund einer fehlenden Standgenehmigung wurde 2778 im Mai 1990 weiterverkauft, wobei der neue Eigentümer den Bus weiterhin als Imbisswagen nutzte. In dieser Funktion diente 2778 bis zum Jahr 1992. Leider ist es heutzutage nicht ungewöhnlich, dass insbesondere auch ehemalige öffentliche Verkehrsmittel starkem Vandalismus ausgesetzt sind und so verwundert es nicht, dass der Wagen Ende 1993 Opfer größerer Sachbeschädigungen wurde. Der Zustand, in dem die Mitglieder der AG Traditionsbus den Wagen im Juni 1994 vorfanden, war dann auch mehr als beklagenswert: Beim mittlerweile nicht mehr genutzten Bus, der in einem Wohngebiet aufgestellt war, waren so gut wie alle Scheiben zerstört, das Armaturenbrett verwüstet, und zu allem Überfluss hatte der Vorbesitzer die Luftanlage des Fahrzeugs dafür verwendet, sein altes Frittenfett zu entsorgen…

Es spricht sowohl für die fachliche Kompetenz der "Traditionsbusser" als auch für die einfache und robuste Bauweise der SD 200, dass es trotzdem in vergleichsweise kurzer Zeit gelang, das Fahrzeug wieder fahrfähig herzurichten und mit dem Wagen 2778 die Heimreise nach Berlin anzutreten. Dort angekommen, wurde der Bus von den neuen Eigentümern (die beteiligten Personen hatten den Wagen in eigenem Namen und nicht für die Traditionsbus erworben) zunächst ohne Verwendung auf einem unserer Stellplätze, auf dem Gelände des ehemaligen Betriebshofes Treptow, der heutigen Kultureinrichtung "Arena", abgestellt.

Ein neuer Interessent für das Fahrzeug hatte sich auch recht bald gefunden: Ausgerechnet der BVG-Hauptwerkstatt Omnibus, die Mitte der Neunzigerjahre das neue Geschäftsfeld der Fahrzeugumbauten zu Cabrioletbussen für sich entdeckt hatte, gelang es damals nicht, ausgemusterte Altfahrzeuge für Umbauten zu Cabriolets aus dem eigenen Unternehmen zu erhalten, womit nun für vorliegende Auftragsarbeiten händeringend Doppeldecker gesucht wurden. Zusammen mit dem Wagen 3023 (SD 77) wurde der Bus von der BVG-Hauptwerkstatt übernommen und zum oben offenen Stadtrundfahrtbus umgebaut. Nach erfolgtem Umbau gelangte der Bus im April 1995 durch die Firma Blank mit der Zulassung DD-CM 3439 in Hamburg in den Einsatz, der bereits nach einem Jahr endete. Der Bus war nun zum dritten Mal in Berlin.

Als die in Berlin von der BVG betriebene Stadtrundfahrtlinie "Top-Tour-Berlin" im Rahmen einer Attraktivitätssteigerung im April 1997 sowohl im Takt verdichtet als auch auf den ausschließlichen Einsatz von Doppeldeckerbussen umgestellt worden ist, wurde der aus der Hansestadt zurückgekehrte Wagen dafür ausgewählt, als bislang einziger BVG-Bus überhaupt ein zweites Mal in Dienst gestellt zu werden. Da inzwischen im Bereich der 27er Nummern bereits Gelenkbusse angemeldet worden waren, erhielt der ehemalige Bus 2778 nun eine neue Wagennummer im Nummernbereich der BVG-Sonderfahrzeuge. Vielleicht in Anlehnung an seine alte Wagennummer 2778 wurde der Wagen nun auf das Kennzeichen B-V 2078 zugelassen.

Mit dem Umbau weiterer SD 200, die zum Teil in diesem Zusammenhang auch schadstoffärmere Motoren erhielten, konnte auf den Einsatz des Wagens 2778/2078 bei der Top-Tour-Berlin verzichtet werden, was aber noch längst nicht heißen sollte, dass der mittlerweile 24 Jahre alte Bus nicht noch benötigt werden würde: Im Winter 2000/2001 wurde der Bus in Zusammenarbeit mit der Schnellrestaurantkette Burger King noch einmal umgebaut und erhielt zum Einsatz als "Eventfahrzeug" nun ein Faltschiebedach und eine seitliche Klappverglasung. Als so genannter "King-Rider" verband der Wagen nun in Sommernächten auf einer Ringlinie die einzelnen Filialen der Restaurantkette. Die Fahrgäste nahmen auf einer auch im Innenraum der Einrichtung dieser Restaurantkette angeglichenen Bestuhlung Platz, wurden durch das nächtliche Berlin gefahren und konnten bei satten Beats bereits ihre Bestellung für das nächste Restaurant aufgeben. Nach vier Jahren endete die Zusammenarbeit der BVG mit der Schnellrestaurantkette, was jedoch nicht bedeuten sollte, dass es nicht schon wieder ein neues Aufgabengebiet für den noch immer rüstigen Busveteran geben sollte.

Seit Sommer 2005 stand der Wagen dem BVG-Club als Clubmobil zur Verfügung und wurde bei Ausflugsfahrten oder Mitgliederveranstaltungen eingesetzt. Größere Ausflüge wurden mit dem Wagen jedoch nicht unternommen, da der Bus der letzten Fahrzeuggeneration angehört, die mit einem automatischem Zweiganggetriebe Voith Diwa 506 ausgeliefert worden sind; und diese Getriebe sind ausschließlich für den Stadtverkehr ausgelegt. In Kombination mit der im Fahrzeug verbauten Hinterachse bzw. dem verbauten Hinterachsdifferenzial erreichte der Wagen nur eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 54 km/h, was für den Stadtverkehr ausreichend war.

Im zarten Alter von nunmehr fast 35 Jahren wurde 2778 erneut von der BVG abgestellt, diesmal zum Verkauf. Zu diesem Zeitpunkt suchte der Aachener Jugendhilfeverein Chill Out einen würdigen Ersatz für den Wagen 2719. So erwartet 2778 nun ein neuer Abschnitt seinem bewegten Leben, der als einziger BVG-Doppeldecker vor der Wende jemals in die DDR verkauft und zweimal bei der BVG in Dienst gestellte Bus wurde…

Um auch einen wintertauglichen Bus zu haben, schaffte Chill Out mittlerweile einen SD 202 mit geschlossenem Dach als zweiten Bus an. Der SD mit Schiebeverdeck ist nun ein reiner Sommerbus.

Ein weiterhin langes Busleben wünscht C. Neuhaus


zuletzt aktualisiert 17.7.2013