Wagen 1360

Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Am 29. Juni 1981 traf Dieter Gammrath den neuen Bus auf dem Hof Helmholtzstr. an.
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Abgestellt auf Hof H neben einem SR 240.
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Ab den 90ern war der Wagen in der Hand einer Freizeitgruppe mit der Bezeichnung "Der Zehlendorfer" mit Abstellplatz auf Hof Z.
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Am Steglitzer Kreisel am Rande einer Fahrt.
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Am Steglitzer Kreisel am Rande einer Fahrt.
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Am Steglitzer Kreisel am Rande einer Fahrt.
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Erste Besichtigung des Busses in Hamburg am 11. Januar 2019.
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
1360 tritt am 09.02.2019 den Heimweg Richtung Berlin an.
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Zustand des Innenraums bei der Abholung mit Blick nach vorne...
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
...und nach hinten.
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
immer weiter Richtung Regenbogen
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Kaum angekommen, wird erstmal alles genau unter die Lupe genommen
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
Armaturenbrett und Fahrerplatz
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
aktueller Zustand des Wagens
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
aktueller Zustand des Wagens
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
aktueller Zustand des Wagens
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
aktueller Zustand des Wagens
Daimler-Benz O303, Wagen 1360
aktueller Zustand des Wagens

Die Geschichte der BVG Reisebusse reicht bis in deren Anfänge zurück. Bereits beim Vorgänger, der ABOAG, gab es eine Flotte von Reisebussen für Vermietung und Ausflugsfahrten. Nach dem 2. Weltkrieg kamen dann bei der BVG Fahrzeuge der Marken Büssing, Kässbohrer Setra, Daimler Benz und Magirus Deutz zum Einsatz. Zwar hielten sich die Stückzahlen der jeweiligen Fahrzeugtypen in Grenzen - waren es doch kaum mehr als drei -, so sind sie doch allemal erwähnenswert.

Da man sich bei Traditionsbus lange Zeit nicht mit Reisebussen auseinandergesetzt hatte (die meisten von uns haben ihren Bezug zur BVG durch die Linienbusse bekommen, mit denen sie früher zur Schule gefahren sind), wird es nun endlich Zeit sich auch diesem Thema anzunehmen. Umso glücklicher waren wir, als ein Daimler Benz O303-9R in sandgelber Lackierung bei einem Onlineanbieter auftauchte; aber der Reihe nach.

Die BVG orderte 1963 das erste Mal einen Mercedes Reisewagen vom Typ O 321 HL (Wagen 631). 1970 wurde vorerst der letzte Mercedes vom Typ O 302 (Wagen 53 später 1353) an die BVG ausgeliefert. Zehn Jahre lang fiel die Wahl bei Reisefahrzeugen nun ausschließlich auf Büssing, Magirus-Deutz und MAN. Erst im Mai 1980 wurden wieder Fahrzeuge aus Mannheim beschafft, obwohl es die neue hochgelobte Reisebusserie (O303) schon seit 1974 gab.

Zwei Daimler (Wagen 1352, 1357) vom Typ O303-15R wurden im Mai und August 1980 angeschafft. Die Angabe 15R bezieht sich hierbei auf die höchstmögliche Zahl an Sitzreihen, welche man bestellen konnte. Wer sich jetzt einmal Fotos der Wagen anschaut und die Sitzreihen nachzählt wird schnell feststellen, dass die BVG die Fahrzeuge mit weniger Sitzreihen bestellt hat. Dies wirkte sich positiv auf die Beinfreiheit aus und erhöhte so den Komfort. So gab es im kurzen O303-9R statt 37+1 nur 29+1 Sitzplätze; dafür aber einen Meter Beinfreiheit. Nach den zwei "großen" Mercedes O303 orderte die BVG im Jahr 1981 noch drei kurze O303-9R (Wagen 1358 - 1360). Der letzte von Ihnen (1360) war jener Wagen, welchen wir im Oktober 2018 im Internet aufgestöbert hatten.

Der BVG-Reisewagen 1360, vom Typ Daimler Benz O303-9R, wurde am 20. Mai 1981 erstmalig zugelassen. Die Reisebusse standen auf dem Betriebshof Helmholzstraße immer in der Halle und wurden vertragsgerecht bei Mercedes Benz in der Seeburger Straße gewartet und repariert. Auffällig ist, dass die Fahrzeuge recht spartanisch ausgestattet waren. Die BVG hatte sich nur wenig aus der schon damals recht umfangreichen "Liste der Extras" bedient.

So gab es z. B. bis auf den Wagen 1352 keine Toiletten an Bord. Auf eine Klimaanlage oder eine damals noch übliche Fahrertür verzichtete man ebenfalls. Anstelle einer Klimaanlage gab es drei Deckenlüfter und zwei große Dachluken. Im Innenraum gab es statt vornehmen Teppich Linoleumbelag, wie er auch im D-Bus zum Einsatz kam. Die drei O303-9R waren 1981 die ersten Reisebusse, welche mit ABS (Anti-Blockier-System) ausgerüstet waren. Dadurch bekamen diese Fahrzeuge auch eine 100km/h - Zulassung. Eingesetzt wurden die Fahrzeuge für Miet- und Sonderfahrten aller Art. Aber auch der BVG Vorstand griff gerne auf die komfortablen Fahrzeuge zurück, wenn es einmal zu einem "Außentermin" ging.

Insgesamt fuhren die drei kurzen O303 aber nicht viel bei der BVG. "Unser" 1360 wurde im Juni 1992 mit nur 114.000 km abgestellt und zum Verkauf angeboten. Zunächst übernahm eine Freizeitgruppe von BVG-Mitarbeitern, die unter dem Namen "Der Zehlendorfer" tätig war, den Bus, der nun auf dem Betriebshof Zehlendorf einen festen Stellplatz hatte. Das Kennzeichen lautete nun B-DC 4730. In dieser Zeit wurden mit 1360 auch z. B. die Fahrer nach Österreich gebracht, die dort die Volvo B10L bei Steyr abholen sollten.

Später übernahm den Bus das Unternehmen "Weiss-Reisen" aus Bad Rodach in Franken. Weiterhin in BVG-beige lackiert wurde der Wagen nun im Schüler- und Gelegenheitsverkehr eingesetzt und ab und zu auch als Reisebus. Liebevoll nannte der neue Besitzer den Wagen "Die Prinzessin".

Im Jahr 2017 wurde die Firma Weiss-Reisen aus Altersgründen geschlossen. 1360 hatte nun stolze 739.000 km auf der Uhr. Schließlich wurde er für 1.000 Euro an einen Gebrauchtwagenhändler in Hamburg verkauft.

Im Jahr 2018 tauchte der Bus dann erstmals im Internet auf. Stolze 15.000 Euro sollte er kosten. Mitte des Jahres 2018 wurden wir von Traditionsbus erstmals auf 1360 aufmerksam, welcher jetzt nur noch 7.990 Euro kostete. "Guckt mal auf diese Internetseite, da wird ein BVG Reisebus angeboten. Den erkenne ich schon an seiner beigen Farbe und der Schilderhalterung im Seitenfenster" hieß es damals.

Nach einigen Überlegungen beschlossen wir, nach Hamburg zu fahren und den Autobus genauer unter die Lupe zu nehmen. Hier gab es schließlich die Chance einen echten Reisewagen der BVG zu erwerben und zu erhalten. Noch dazu ist seine Größe mit knapp 10m perfekt, um die ohnehin vollen Hallen der ATB nicht noch unnötig voller zu machen.

Ebenso hoch waren die Erwartungen, als wir am 11. Januar 2019 den Bus erstmals besuchten. Knapp ein Jahr stand der Wagen nun schon auf dem Hof des Verkäufers. Leider war das Dach undicht und es regnete an mehreren Stellen rein. Das Salz der Straßen in Oberfranken hatten der Karosserie zugesetzt. Die Sitze waren verschlissen und durch den Regen leider auch am Schimmeln. Beim zufälligen öffnen des Handschuhfachs fiel uns die originale BVG-Bordmappe entgegen und damit der ultimative Beweis: Ja, es handelt sich um den Reisewagen 1360.

Mit gemischten Gefühlen kehrten wir wieder heim. Einerseits freuten wir uns über den Fund, anderseits bereitete uns sein Zustand - nach dem ersten Blick - Kopfzerbrechen. Deswegen stand ein weiterer Besuch am 2. Februar 2019 an, bei dem wir nun auch die Technik noch einmal genauer unter die Lupe nahmen. Zwar lief der Motor und das Getriebe ließ sich Schalten aber der restliche Zustand des Busses hatte sich dadurch immer noch nicht verbessert. Obwohl die meisten von uns nie wirklich mit diesem Fahrzeug in Berührung gekommen sind, stand dann recht bald fest: "Den müssen wir haben - einfach, weil er so einzigartig ist!"

Sie werden sich sicherlich fragen, was ihn so einzigartig macht. Nun, auch wenn der Bus 1981 ausgeliefert wurde, so ist er ganz unverkennbar ein "Kind der 70iger". Eine Melange aus gelb-orange-braunen Polstern, beigen Deckenverkleidungen und das braune Holzimitat im Armaturenbrett lassen einen in das Ambiente des "Flowerpower-Jahrzehnts" eintauchen. Es fehlen eigentlich nur noch Schlaghosen und Plateauschuhe bei Personal und Fahrgästen. Und auch außen strahlt 1360 noch mit dem Charme vergangener Zeiten. Die glitzernden Chrome-Umrandungen im Kühlergrill und den Scheinwerfern. Die 1982 überarbeitete Version des O303 erschien mit "moderneren" Polsterstoffen im Stil der 80iger, weniger Chrom, dafür aber einer bulligen Kunststofffront und einem zwar überarbeiteten, aber sehr nüchtern gehaltenem Armaturenbrett.

Die Technik faszinierte uns ebenfalls. 1360 wäre der erste Bus im ATB Bestand mit einem V-Motor. Zwar hat er nur den "kleinen" V6 mit 216PS aus 10,8L Hubraum, das war uns aber egal. Im Gegensatz zum Rest des Fahrzeuges machte der Motor einen ausgesprochen guten Eindruck. Qualität "Made in Germany" eben.

Am 9. Februar 2019 waren die Verhandlungen mit dem Verkäufer abgeschlossen. Nur so viel sei gesagt: Wir haben natürlich deutlich weniger bezahlt, als die weiter oben im Text erwähnte Summe. Um 14.18 Uhr rollte 1360 mit 739.944 km auf dem Tacho vom Hof des Autohauses Richtung Berlin. Es war eine abenteuerliche Fahrt, da der Motor wegen einer undichten Kraftstoffleitung einige Male ausging, aber wir kamen gegen 20 Uhr in Berlin an. 1360 war nach einigen Jahren endlich wieder in seiner Heimat.

Nun wurde die Technik soweit instandgesetzt, dass der Bus wieder problemlos bewegt werden kann. Ein erstes Angebot für die Sanierung des Wagens wurde auch eingeholt. Die 40.000 Euro Sanierungskosten hatten uns jetzt nicht wirklich verwundert.

Bis heute sind wir etliche Male quer durch Deutschland gefahren um Ersatzteile für den Bus aufzutreiben. Eine leider noch nicht gelöste Herausforderung, ist die Beschaffung des Ersatz-Sitzstoffes im authentischen Design. Außerdem wären wir dankbar für originale Innenaufnahmen aus den 80igern. Denn wir planen den Wagen, irgendwann einmal, in genau dem Zustand vorzustellen, wie ihn die BVG einst bestellt und ausgeliefert bekommen hat.

Übrigens: Im Oktober 2020 hatte der Bus erstmals einen Filmauftritt in einem Werbespot für einen Telefonanbieter. Eine stolze Sekunde kann man den Wagen im Bild sehen.

Wir hoffen, dass es bald wieder Neuigkeiten zu unserem Reisewagen 1360 gibt. Solange gilt das Motto: "Es fehlt die Zeit, es fehlt das Geld, doch erhalten bleib ich dieser Welt".

Text Florian Garhammer, Stand Januar 2022