SD 200, die nicht für die BVG gebaut wurden 

 

Es liegt ein Aufsatz zu einem Fahrzeug vor: LVG 14

 

Die bislang größte Doppeldeckerserie bei der BVG stellten mit insgesamt 956 Wagen die Fahrzeuge der Bauart SD 200 (Typ 196). Wie auch bei früheren und späteren Doppeldeckerserien gab es neben den für die BVG gefertigten Bussen aber noch weitere, die entweder für andere Auftraggeber als die BVG hergestellt worden sind oder als Vorführwagen fungierten und somit niemals für Berlin bestimmt waren.

 

Dies trifft bei den SD 200 auf insgesamt zwölf Fahrzeuge zu, von denen allein acht für die Lübeck-Travemünder Verkehrsgesellschaft (LVG) gefertigt worden sind. Eines der vier verbleibenden SD-200-Fahrgestelle ist niemals mit einem Aufbau versehen worden und diente bei der BVG jahrelang als Demonstrations- und Übungsmodell der BVG-Fahrschule für Aggregate und Komponenten. Da aber auch dieses Modell eine eigene Fahrgestellnummer erhalten hatte, muss es folglich in die Auflistung der nicht im BVG-Liniendienst eingesetzten SD 200 einbezogen werden.

 

Die Aufzählung der zwölf nicht als BVG-Busse eingesetzten SD 200 erfolgt in der Reihenfolge der Fahrgestellnummern.

 

 

196-0076-0076, 196-0077-0077:

Die beiden Busse sind im Jahr 1975 von der Waggon Union karossiert und als Vorführwagen für Zürich verwendet worden.

 

Der Wagen mit der Fahrgestellnummer 19600760076 ist in Zürich als Wagen 140 und der Zulassung ZH 379 140 in Dienst gestellt worden. Nach diesem Einsatz gelangte der Bus zur Firma Kurz im bayerischen Puchheim, wo er zunächst die Zulassung AH-Z 703 und später FFB-E 12 trug. Später wurde der Wagen in Lindau am Bodensee aufgestellt und fand dort als mobiles Freudenhaus Verwendung (neue Zulassung: LI-MK 87). Weiterer Eigentümer des Busses wurde danach die Firma MM-Technologies, die das Fahrzeug als Ersatzteilspender für den von ihr als Werbebus vorgehaltenen Wagen 2734 (SD 75) nutzte. Während Motor und Getriebe des Busses in Wagen 2734 Verwendung fanden, sollte der nun nur noch rollfähige Bus auf einem Spielplatz aufgestellt werden. Ob diese Pläne in die Tat umgesetzt worden sind, ließ sich leider nicht ermitteln, denn hier verliert sich die Spur des Fahrzeugs. Auch liegen leider keine näheren Angaben zur jeweiligen Einsatzdauer und der konkreten Verwendung des Busses bei den Vorbesitzern vor.

 

Der zweite Vorführbus trug in Zürich die Wagennummer 141, die amtliche Zulassung lautete ZH 347 589. Später in dem Wagen noch vorhandene arabischsprachige Hinweisschilder bestätigten, dass der Bus ab Ende 1979 in Algier im Einsatz gewesen ist. Erst 1982 gelangte das Fahrzeug nach Deutschland und wurde als Wagen 8251 von der Firma Omnibusverkehr Rouff im Baden-Württembergischen Waiblingen unter der Zulassung WN-AS 704 im Linienverkehr eingesetzt.

Im April 1994 ist der Bus von einem Privatmann in Berlin übernommen worden, der ihn nach kurzer Zeit an den Omnibushandel Heidemann nach Bargteheide (Schleswig-Holstein) weiterveräußerte.

Eine neue Zulassung (KG-AX 8) erhielt der Bus erst wieder bei seinem neuen Eigentümer, dem Omnibusbetrieb Schneider in Burkhardtroth (Unterfranken). Letzter Eigentümer in Süddeutschland sollte danach der Taxibetrieb Nickel in Altötting werden (neue Zulassung AÖ-BR 83), bevor der Bus zur Firma Becker-Reisen im niedersächsischen Tostedt kam. Diese setzt traditionell ehemalige BVG-Doppeldecker im Schulbusverkehr ein, womit sich der Bus in bester Gesellschaft baugleicher Artgenossen befand. Obwohl für das Fahrzeug das Kennzeichen WL-BR 303 vorgemerkt war, ist der Bus bei Becker-Reisen nie amtlich angemeldet worden. Offenbar standen dem Unternehmen genug andere, technisch bessere ehemalige BVG-Fahrzeuge zur Verfügung.

Im Zuge einer Fuhrparkmodernisierung wurde der Bus zusammen mit den ehemaligen Berliner Doppeldeckern 1712, 1714 und 1719 (SD 80) Ende der Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts an die Firma Paaske weiterverkauft, die in Kopenhagen Stadtrundfahrten anbietet. Als Wagen 915 mit der neuen Zulassung RX 90997 fand das Fahrzeug nun als Cabrioletbus Verwendung.

Im Jahr 2006 ist der Bus nach Tallinn (Estland) weitergegeben worden, wo er derzeit unter der Zulassung 570 MEX für die Firma City Sightseeing Tallinn zum Einsatz kommt.

 

MAN SD 200

Einer der beiden Vorführwagen - vermutlich 0076 - präsentiert sich dem Fotografen in der MAN-Niederlassung an der Nonnendammallee in Haselhorst.

Foto: R. Putzke

MAN SD 200

Neben der weißen Lackierung unterschieden sich die Vorführwagen von den zeitgleich gebauten BVG-Wagen durch die Ausstattung mit Nebelscheinwerfern.

Foto: R. Putzke

MAN SD 200

Die Leuchtreklame auf dem Gebäude weist auf den früheren kurz zuvor durch MAN übernommenen Eigentümer hin.

Foto: R. Putzke

MAN SD 200

Bei der Firma Nickel in Altötting diente der Wagen numerisch höhere beider Vorführwagen als Schulbus. Die nunmehr durchgehende Ausrüstung mit Klappfenstern könnte ein Überbleibsel des Einsatzes in Nordafrika sein. Die grauen Fenstergummis dieses Busses heben sich von der üblichen SD-Ausstattung ab.

Foto: C. Lau

MAN SD 200

Berlin sah dieser Bus nur kurze Zeit in Privatbesitz, in der keine Einsätze im Fahrgastverkehr erfolgten.

Foto: C. Neuhaus

MAN SD 200

Der zwischenzeitliche Einsatz als Schulbus in Bayern brachte dem Bus die Nachrüstung von Blinkern am Heck im Oberdeckbereich.

Foto: C. Neuhaus

MAN SD 200

Der letzte dokumentierte Verbleib des Zwillings war die Verwendung als Bordell. Danach verlor sich die Spur des Fahrzeugs.

Foto: C. Lau

 

 

196-0195-0195 bis 196-0197-0197:

Zwischen den BVG-Serien SD 76I und SD 76II waren die drei von Orenstein & Koppel für die Lübecker Verkehrsgesellschaft (LVG) für den Linienverkehr zwischen Lübeck und Travemünde gefertigten SD 200 angesiedelt.

Fahrgestellnummer

LVG-Wagennummer

amtliche Zulassung

Erstzulassung

Abmeldung

19601950195

84

HL-J 90

Frühjahr 1976

Januar 1989

19601960196

83

HL-J 9

Frühjahr 1976

März 1989

19601970197

82

HL-J 120

Frühjahr 1976

August 1989

 

Während die Wagen 82 und 84 nach ihrer Ausmusterung beim Schrotthandel Hennings in Lübeck verschrottet worden sind, gelangte der Wagen 83 über einen in Hamburg ansässigen Gebrauchtwagenhändler nach Yokohama in Japan. Dort verliert sich die Spur des Busses.

 

 

 

196-0378-0378:

Nach bisherigen Recherchen ist dieses Fahrgestell (dessen Nummer zwischen dem für die BVG gefertigten Wagen 3092 (SD 77) und Wagen 3093 (SD 78) angesiedelt war) versuchsweise für den Aufbau eines annähernd niederflurigen Eindeckers verwendet worden. Die damals aktuellen Busse vom VÖV I-Typ konnten nur durch „Erklimmen“ von zwei recht hohen Einstiegsstufen betreten werden, während die SD 200 seit jeher den Vorzug boten, über nur eine relativ niedrige Ein- und Ausstiegsstufe zu verfügen.

 

Einen der wenigen konkreten Hinweise auf dieses Fahrzeug findet man in dem Fachmagazin „Der Stadtverkehr“ (Ausgabe 9 von 1977), in dem das aktuelle Omnibusprogramm des Nutzfahrzeugherstellers MAN des Jahres 1977 vorgestellt wurde. In der Bildunterschrift wurde dort der „neue MAN-Niederflurbus vom Typ SL 200 II“ vorgestellt. Als ein wesentlicher Vorzug des Fahrzeugs wurde die besonders niedrige Fußbodenhöhe beschrieben. Im weiteren Text des Artikels zu diesem Bus verwies man auf die „Verwendung des bekannten Doppeldecker-Fahrwerks“, womit nur das des Typs SD 200 gemeint sein konnte.

 

Über diesen Bus ist ansonsten wenig bekannt. Offenbar wurde das Fahrzeug von MAN im Werksverkehr verwendet, wo der Bus noch 1997 im Einsatz gestanden haben soll; weitere Einsätze dieses Busses bei anderen Betrieben sind nicht überliefert.

 

MAN SL 200 II

Erst auf den zweiten Blick offenbart dieser Bus seinen Exotenstatus: der Wagen ist insgesamt flacher als übliche Standard-Linienbusse und weist einen abweichenden Fensterteiler auf.

Werksfoto: MAN Nutzfahrzeuge AG

MAN SL 200 II

Die ungewöhnliche Dachkante ist ein unvermeidliches Merkmal seiner Abstammung vom Doppeldecker, da der der Dachgurt eine tragende Funktion hat. Beim SD 200 ist hier das Oberdeck aufgesetzt.

Werksfoto: MAN Nutzfahrzeuge AG

MAN SL 200 II

Nur eine kleine Stufe führt in den Fahrgastraum, ohne dass Treppensteigen wie bei den seinerzeit üblichen Hochboden-Bussen notwendig war.

Werksfoto: MAN Nutzfahrzeuge AG

MAN SL 200 II

Busse der VÖV-I-Generation besaßen einen ebenen Wagenfußboden, wohingegen das SD-Fahrgestell mit seinem niedrigen Laufgang die Anordnung der Sitze auf Podestden erforderte. Die Innenseite des seitlichen Rollbands weist den Wagen als "MAN Niederflurbus" aus.

Werksfoto: MAN Nutzfahrzeuge AG

MAN SL 200 II

Der Bus wurde ohne amtliche Zulassung für den Verkehr auf öffentlichen Straßen im Werksverkehr von MAN in Dachau benutzt. Die Fotos stammen aus dem Jahr 1997 und entstanden somit kurz vor der Außerbetriebnahme des Wagens.

Foto: Jens Möllenbeck

MAN SL 200 II

Auf der linken Seite unterscheidet sich der Bus auf den ersten Blick weniger von seinen reinrassigen Hochboden-Halbbrüdern. Offenbar war die Dachkante, die die Abstammung vom Doppeldecker verriet, nur der Türen wegen erforderlich.

Foto: Jens Möllenbeck

MAN SL 200 II

Der Bus erreichte für ein Versuchsfahrzeug ein respektables Alter, durch den noch originalen Lack drückt aber bereits der Rost. Der Bus wurde nur wenige Monate später verschrottet.

Foto: Jens Möllenbeck

 

 

196-0519-0519 – 196-0521-0521:

Im Jahr 1979 sind von der LVG drei weitere SD 200 geordert worden. Die Karossierung der numerisch zwischen den BVG-Wagen der Serie SD 79 und SD 80 angesiedelten Busse übernahm wiederum Orenstein & Koppel.

 

Fahrgestellnummer

LVG-Wagennummer

amtliche Zulassung

Erstzulassung

Abmeldung

19605190519

98

HL-J 183

Mai 1980

Mai 1990

19605200520

100

HL-J 518

Mai 1980

Dezember 1990

19605210521

99

HL-J 293

Mai 1980

Mai 1990

 

Nach der Außerdienststellung wurde der Wagen 98 im Mai 1990 von der Firma Runners Point in Recklinghausen (Nordrhein-Westfahlen) erworben. Diese setzte den Bus unter der Zulassung RE-RP 84 als Werbewagen ein. Danach wurde der Wagen vom Westfälischen Kinderdorf in Münster (neue Zulassung MS-RP 84) übernommen, um im Januar 1993 zu einem weiteren Kinderdorf in Paderborn zu gelangen (Zulassung dort: PB-KF 488). Eine neue Verwendung erhielt der Bus dann im Jahr 1994 bei der Drogenberatung Remscheid (neue Zulassung: RS-CD 248) von wo aus er 1997 zur Firma Travellin‘ House Tours in Lennestadt kam. Der wohl letzte Eigentümerwechsel erfolgte im Jahr 2007, als der Bus zu seinem vorerst letzten Eigentümer, der Firma Blank in Dresden, kam. Dort wurde der Bus ohne weitere Verwendung hinterstellt. Der derzeitige Fahrzeugzustand und jeder weitere Tag, an der Bus ungenutzt herumsteht, lassen es immer wahrscheinlicher werden, dass Wagen 98 höchstens noch als Teilespender fungieren wird.

 

Wagen 99 wurde nach seiner Ausmusterung bei der LVG im Jahr 1990 von der Firma Weihrauch-Reisen in Northeim (Niedersachsen) übernommen, die den Bus unter der Zulassung NOM-WT 24 einsetzte. Im Juni 1996 wurde der Bus von einem privaten Bussammler erworben, der ihn später an ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Traditionsbus weitergab. Derzeit ist LVG-Wagen 99 (neue Zulassung: OS-DP 69) als Museumsfahrzeug dauerhaft an Traditionsbus Osnabrück verliehen.

 

Wagen 100 ist nach der Ausmusterung verschrottet worden.

 

MAN SD 200

Die drei SD-Busse der zweiten Lieferung an die LVG paradieren während ihrer Überführung vom Hersteller nach Lübeck für den Fotografen.

Foto: Archiv C. Neuhaus

MAN SD 200

Wagen 99 im Portrait: offensichtliche Änderungen gegenüber den BVG-Wagen war der Verzicht auf in die Karosserie integrierte Rollbänder und die Austattung mit Nebelscheinwerfern.

Foto: Archiv C. Neuhaus

MAN SD 200

Alle für die LVG gebauten SD besaßen nur eine Treppe, da die Einsätze auf Überlandlinien keinen schnellen Fahrgastwechsel erfordern und somit auch mehr Sitzplätze zur Verfügung stehen.

Foto: Archiv C. Neuhaus

MAN SD 200

Die Lüfter im Unterdeck-Heck dienten der Verbesserung der Luftqualität
auf längeren Strecken und waren eine LVG-Besonderheit.

Foto: Archiv C. Neuhaus

MAN SD 200

Während in Berliner Bussen bereits seit Jahren ein Rauchverbot eingeführt war, weist die Ausstattung der Lübecker SD 79 mit Aschenbechern daraufhin, dass der Genuß einer Busfahrt mit Aussicht ohne Genuß frischer Atemluft in Kauf genommen werden musste.

Foto: Archiv C. Neuhaus

MAN SD 200

Die Eintreppen-SD verfügen mit über die größte Sitzplatzzahl, die in Linienbussen damals möglich war.

Foto: Archiv C. Neuhaus

MAN SD 200

Die Parade von der Dammseite aus: der Hersteller Orenstein&Koppel weist auf seine Produkte mit einem großen Schild in LVG-Wagen 100 hin.

Foto: Archiv C. Neuhaus

 

 

196-0522-0522:

Hierbei handelt es sich um das von der BVG-eigenen Fahrschule genutzte Demonstrationsmodell für Fahrzeugkomponenten und –aggregate, auf das nie ein Bus aufgebaut worden ist. Im Zuge eines Umbaus der Fahrschulräume ist dieses Fahrgestell Ende der Neunzigerjahre verschrottet worden.

 

 

WMA 196 0822 B001872, WMA 196 0823 B001921:

Ab dem Jahr 1983 ist die Systematik der MAN-Fahrgestellnummern geändert worden. Dem Zahlenschlüssel ist ein Herstellerkürzel „WMA“ vorangestellt worden und mit einem Buchstaben wurde nun der Fertigungsort verschlüsselt. Trotzdem wurde die Kontinuität gewahrt, indem der Fahrzeugtyp und die fortlaufende Nummer des Fahrgestells weiterhin hinter dem Herstellerkürzel erkennbar waren.

 

Mit den fortlaufenden Nummern 822 und 823 orderte die LVG im Jahr 1983 letztmalig SD 200. Da sich der bisherige „Haus- und Hoflieferant“ der LVG, Orenstein & Koppel, im Jahr 1980 auf die Fertigung von Fahrtreppen und Baumaschinen konzentriert hat, wurden die später bei der LVG als Wagen 14 (HL-J 925) und 15 (HL-J 835) in Dienst gestellten Busse von dem einzig verblieben Aufbauhersteller, der Waggon Union, karossiert.

Obwohl beide Busse bereits im Herbst 1983 an die LVG ausgeliefert worden waren, erfolgte deren Erstzulassung erst im Juni des Folgejahres.

Im Juni 1994 schied der LVG-Wagen 14 als erster der beiden Busse aus dem Liniendienst aus. Er wurde unmittelbar nach der Ausmusterung an einen privaten Bussammler verkauft und gelangte später in den Museumsbusbestand der Arbeitsgemeinschaft Traditionsbus. Dort wird der Wagen als historischer Omnibus (neue Zulassung B-VU 114) aufbewahrt.

LVG-Wagen 15 schied im Jahr 1995 aus dem Liniendienst aus und wurde anschließend zum Cabriolet-Doppeldecker umgebaut. Der Bus ist noch heute im Bestand der LVG.

 

Ein besonderes Dankeschön gebührt Holmar Schubert und Carsten Lau für die Vervollständigung dieses Aufsatzes um die genauen Angaben zu den beiden SD-200-Vorführfahrzeugen des Baujahres 1975.

 

Text: C. Neuhaus, April 2010

 

zuletzt aktualisiert 6.4.2012 | Ulf Bergmann