Wagen 610
Büssing E2U 53

Am 21. Juni 1998 konnten wir, Traditionsbus Berlin, den Bus 610 vom Typ Büssing E2U 53 erwerben und als zur Rekonstruktion vorgesehenen Museumsbus in unseren historischen Fahrzeugpark einreihen. Er stellt damit auch unser ältestes Fahrzeug dar.

Das einzige uns bekannte Foto aus der Einsatzzeit von 610 machte S. Hilkenbach am 18.06.1964 auf einem BVG-Gelände in der Zyklopstraße
Dieter Gammrath erwischte 610 im 10. Jahr nach dem Verkauf in der Heilbronner Straße in Berlin
Bereits in Sprakensehl-Behren fotografierte Frank von Riman-Lipinski am 23.03.1990 den Bus 610
... hier die erste Heckaufnahme...
Bis zu den Achsen im Boden eingesunken »präsentierte« sich 610 am Tag der Übernahme (21.11.1998) durch Traditionsbus-Berlin
... ein Blick nach vorn...
... und ein Blick nach hinten...
Auf geht's in die alte Heimat! Frank von Riman-Lipinski schoss dieses Bild bei einem kurzen Zwischenstopp während des Schleppvorgangs.

Nachdem alle nennenswerten Informationen zu Wagen 610 dem Aufsatz E2U 53 bei der BVG entnommen werden können, wird nun das »zweite Leben« dieses Busses dargestellt, das nach dem Ausscheiden aus dem BVG-Fuhrparkbestand im Juni 1966 begann. Für damals 700 DM wurde 610 nach der Abstellung an einen BVG-Mitarbeiter vom Betriebshof Lichterfelde verkauft. Der Bus war damit der erste fahrfähig verkaufte BVG-Bus überhaupt, denn erst 1972 begann die BVG mit dem Verkauf fahrfähiger D2U-Doppeldecker. Aufgrund der neueren Fahrzeugfront (siehe hierzu auch E2U 53 bei der BVG) suchte sich der Käufer gezielt diesen Wagen aus. Den Umbau zum Campingbus führte er im Winter 1966/67 noch auf dem Hof Lichterfelde aus. An Umbauten erfolgte der Einbau zweier Trennwände zur Schaffung dreier Räume für Küche, Wohn- und Schlafzimmer. Für die Küche im hinteren Wagenteil musste zunächst Platz geschaffen werden, so wurden neben allen Sitzbänken auch die beiden fest eingebauten Längswände über der Hinterachse entfernt. Die bei den E2U und D2U in diesen Bankkästen untergebrachten Fahrzeugbatterien wurden in einem eigens dafür gebauten Batteriekasten unter dem Bus aufgehängt.
Der über der Hinterachse zur Plattform hin abschüssige Wagenboden (Laufgang) wurde für die Stehfläche an Herd und Wasserbecken begradigt. Die Küche erhielt Kühlschrank, Gasherd und Spüle. Für die Wasserversorgung bekam der Bus einen Wassertank, der Inhalt des Abwassertanks konnte auf Campingplätzen entsorgt werden.
Auch auf der Plattform wurde ein zweiter Boden eingezogen. Der Zwischenraum zum eigentlichen Plattformboden diente als Stauraum, unter anderem für das Reserverad und für die Gasflaschen. Ebenfalls auf der Plattform waren die Toilette und der Waschraum vorhanden. Für den Einbau eines Kleiderschranks auf der Plattform wurden die Heckscheibe und die Steckvorrichtung für die Liniennummer ausgebaut und mit Blech zugeschweißt. Darüber hinaus erfolgte der Einbau einer Gasheizung.
An technischen Einbauten sind die Motorbremse (Auspuffklappenbremse) und ein fest eingebautes Batterieladegerät zu nennen. Umgebaut wurde auch das Schaltgetriebe: die Büssing-5GSN-Getriebe wurden bei der BVG grundsätzlich nur als Vierganggetriebe gefahren, der sehr kurz übersetzte erste Gang war mechanisch gesperrt. Alle BVG-Busse fuhren im Stadtverkehr im zweiten Gang an. Speziell für den Einsatz in bergigen Gegenden hatte der Besitzer den ersten Gang wieder freigelegt.
Die erste Lackierung als Campingbus bekam 610 in den Farben Rot (bis zu den Fenstern) und Weiß (bis zum Dach). Mit der unveränderten Zulassung B-V 610 ging es im Sommer 1967 auf die erste große Fahrt nach Jugoslawien. Im Winter 1967/68 erfolgten weitere technische Umbauten. Auf den Überlandstrecken nach Jugoslawien hatte sich gezeigt, dass die serienmäßige gummigelagerte Blattfederung den Wagenkasten nur unzureichend abdämpfte. So bekam die Hinterachse Stoßdämpfer eingebaut, die fortan für gute Laufruhe sorgten. Aus der Front eines abgestellten D2U wurden die dort vorhandenen kleinen asymmetrischen Scheinwerfer herausgeschnitten und in 610 eingebaut. Im Jahr 1968 wurde der Motor gegen einen aus einem ebenfalls abgestellten D2U 52 getauscht. Leider handelte es sich wieder um einen Alu-Motor, denn Grauguss-Motoren verkaufte die BVG zu dieser Zeit noch nicht. 1970 wurde 610 in den Werkhallen der Firma Gaubschat neu lackiert, wieder in Rot und Weiß.
Bis 1971 absolvierte 610 Fahrten nach Jugoslawien, Spanien, Frankreich, Italien und in die Schweiz. Ab 1971 stand er in jedem Sommer auf einem Campingplatz im Westerwald und kam nur für die Wintermonate wieder nach Berlin zurück. Einen Hallenabstellplatz gab es für den Bus leider nicht, deshalb mehrten sich in den folgenden Jahren die erforderlichen Instandhaltungsarbeiten an der Karosserie. Aus diesem Grund verkaufte der ehemalige BVG-Mitarbeiter - nun Mitarbeiter der Firma Gaubschat - im Jahr 1975 den Wagen 610. Bei dem neuen Besitzer ab Mai 1975 änderte sich das Kennzeichen in B-AN 2990. Erneut weiterverkauft wurde der Bus schon im März 1976 und noch einmal im Jahr 1979. Die Zulassung B-AN 2990 trug der Bus längstens bis 1979, danach wurde er nur noch mit roten Kennzeichen gefahren.
Von 1979 bis 1988 stand 610 überwiegend in einer Scheune in Groß Ösingen (Lüneburger Heide), wurde jedoch in den Sommermonaten noch als Campingbus benutzt. Im Juni 1988 erfolgte ein erneuter Weiterverkauf an zwei Privatleute in Sprakensehl-Behren (Lüneburger Heide). Auch hier wurden zunächst noch Fahrten unternommen, ab 1992 war 610 dann jedoch abgestellt und diente nur noch als feststehender beheizter Wohnraum.
Bis zur Bergung durch Traditionsbus Berlin am 21. November 1998 stand der Bus die letzten Jahre fest auf einer Wiese. Durch die lange Standzeit waren die Reifen tief in den Boden eingedrückt, der Wagenkasten setzte auf der Wiese auf. Die Zugkraft von 240 PS durch einen Unimog und einen noch davor gehängten Traktor waren erforderlich, um 610 aus diesen Löchern herauszuziehen. Noch vor Ort erfolgte eine erste Bestandsaufnahme über den Zustand dieses nun 46 Jahre alten Omnibusses. Der Zustand von Auf- und Unterbau ist für die lange Standzeit erstaunlich gut. Abgesehen von dünnen Streben unter der Plattform zeigt der Bus an Gehäuse und Unterbau keine Durchrostung.
Selbst fahren kann 610 zur Zeit allerdings nicht, die Überführung nach Berlin erfolgte daher im Lkw-Schlepp. In einer ersten Aktion wurde der Bus durch Mitglieder der Traditionsbus und des Fördervereins der Traditionsbus innen komplett entkernt. Sämtliche Campingeinbauten sowie die Doppelböden wurden entfernt. Der Innenraum ist nun, bis auf die originalen Decken- und Wandverkleidungen, völlig leer. Die Trennwand zur Plattform ist vorhanden, die halb hohe Trennwand zum Fahrerplatz dagegen fehlt. Wir planen, diesen einmaligen Omnibus - es gibt kein zweites Exemplar davon - wie den Bus 415 (E2U 64) total zu rekonstruieren. Angestrebt wird die fahrfähige Wiederherstellung, der immer noch vorhandene Büssing-U10-Aluminium-Motor wird dann gegen einen Grauguss-Motor getauscht. Der entsprechende Strang aus Motor und Schaltgetriebe ist bei uns vorhanden. Ein Zeitrahmen für die Wiederherstellung kann noch nicht genannt werden, dieser hängt von der Bereitstellung der finanziellen Mittel ab. Veranschlagt werden für die Wiederherstellung - wie beim Wagen 415 - mindestens 60.000,00 EUR . Uns ist es durch die Vermittlung des Werkstattleiters des BVG-Hofes Müllerstraße gelungen, den Kontakt zu dem ersten Besitzer des Busses wiederherzustellen, der diesen Bus 1966 gekauft, ausgebaut und bis 1975 betrieben hat. Er wohnt heute in Hamm/Westfalen. Nach 24 Jahren konnte er »seinen« Bus bei Traditionsbus in Berlin zum ersten Mal wieder in Augenschein nehmen. Er hat bereits aktiv bei der Beseitigung der Einbauten geholfen und darüber hinaus wertvolle Hinweise zu diesem Artikel gegeben.

Text: Frank von Riman-Lipinski

Dieser Aufsatz wurde bereits in den "Berliner Verkehrsblättern", Ausgabe 10/99 veröffentlicht und für die Einstellung auf dieser Seite an einigen Stellen leicht überarbeitet.