Wagen 610
Büssing
E2U 53
Am
21. Juni 1998 konnten wir, Traditionsbus Berlin, den Bus
610 vom Typ Büssing E2U 53 erwerben
und als zur Rekonstruktion vorgesehenen Museumsbus in unseren
historischen Fahrzeugpark einreihen. Er stellt damit auch unser
ältestes Fahrzeug dar.
Nachdem alle nennenswerten Informationen zu Wagen 610 dem
Aufsatz E2U 53 bei
der BVG entnommen werden können, wird
nun das »zweite Leben« dieses Busses dargestellt,
das nach dem Ausscheiden aus dem BVG-Fuhrparkbestand im Juni
1966 begann. Für damals 700 DM wurde 610 nach der
Abstellung an einen BVG-Mitarbeiter vom Betriebshof Lichterfelde
verkauft. Der Bus war damit der erste fahrfähig verkaufte
BVG-Bus überhaupt,
denn erst 1972 begann die BVG mit dem Verkauf fahrfähiger D2U-Doppeldecker. Aufgrund der neueren Fahrzeugfront (siehe
hierzu auch E2U 53
bei der BVG) suchte sich
der Käufer gezielt diesen Wagen aus. Den Umbau zum Campingbus
führte er im Winter 1966/67 noch auf dem Hof Lichterfelde
aus. An Umbauten erfolgte der Einbau zweier Trennwände
zur Schaffung dreier Räume für Küche, Wohn-
und Schlafzimmer. Für die Küche im hinteren Wagenteil
musste zunächst Platz geschaffen werden, so wurden neben
allen Sitzbänken auch die beiden fest eingebauten Längswände über
der Hinterachse entfernt. Die bei den E2U und D2U in diesen
Bankkästen untergebrachten Fahrzeugbatterien wurden in einem
eigens dafür gebauten Batteriekasten unter dem Bus aufgehängt.
Der über der Hinterachse zur Plattform hin abschüssige
Wagenboden (Laufgang) wurde für die Stehfläche an
Herd und Wasserbecken begradigt. Die Küche erhielt Kühlschrank,
Gasherd und Spüle. Für die Wasserversorgung bekam
der Bus einen Wassertank, der Inhalt des Abwassertanks konnte
auf Campingplätzen entsorgt werden.
Auch auf der Plattform
wurde ein zweiter Boden eingezogen. Der Zwischenraum zum eigentlichen
Plattformboden diente als Stauraum, unter anderem für
das Reserverad und für die Gasflaschen. Ebenfalls auf
der Plattform waren die Toilette und der Waschraum vorhanden.
Für den Einbau eines Kleiderschranks auf der Plattform
wurden die Heckscheibe und die Steckvorrichtung für die
Liniennummer ausgebaut und mit Blech zugeschweißt. Darüber
hinaus erfolgte der Einbau einer Gasheizung.
An technischen
Einbauten sind die Motorbremse (Auspuffklappenbremse) und
ein fest eingebautes Batterieladegerät zu nennen. Umgebaut
wurde auch das Schaltgetriebe: die Büssing-5GSN-Getriebe
wurden bei der BVG grundsätzlich nur als Vierganggetriebe
gefahren, der sehr kurz übersetzte erste Gang war mechanisch
gesperrt. Alle BVG-Busse fuhren im Stadtverkehr im zweiten
Gang an. Speziell für
den Einsatz in bergigen Gegenden hatte der Besitzer
den ersten Gang wieder freigelegt.
Die erste Lackierung als
Campingbus bekam 610 in den Farben Rot (bis zu den Fenstern)
und Weiß (bis
zum Dach). Mit der unveränderten Zulassung B-V 610
ging es im Sommer 1967 auf die erste große Fahrt nach
Jugoslawien. Im Winter 1967/68 erfolgten weitere technische
Umbauten. Auf den Überlandstrecken nach Jugoslawien hatte
sich gezeigt, dass die serienmäßige gummigelagerte
Blattfederung den Wagenkasten nur unzureichend abdämpfte.
So bekam die Hinterachse Stoßdämpfer eingebaut,
die fortan für
gute Laufruhe sorgten. Aus der Front eines abgestellten D2U
wurden die dort vorhandenen kleinen asymmetrischen Scheinwerfer
herausgeschnitten und in 610 eingebaut. Im Jahr 1968 wurde
der Motor gegen einen aus einem ebenfalls abgestellten D2U
52 getauscht. Leider handelte es sich wieder um einen Alu-Motor,
denn Grauguss-Motoren verkaufte die BVG zu dieser Zeit noch
nicht. 1970 wurde 610 in den Werkhallen der Firma Gaubschat
neu lackiert, wieder in Rot und Weiß.
Bis 1971 absolvierte
610 Fahrten nach Jugoslawien, Spanien, Frankreich, Italien
und in die Schweiz. Ab 1971 stand er in jedem Sommer auf einem
Campingplatz im Westerwald und kam nur für die Wintermonate
wieder nach Berlin zurück. Einen Hallenabstellplatz gab
es für den Bus leider nicht, deshalb mehrten sich in den
folgenden Jahren die erforderlichen Instandhaltungsarbeiten
an der Karosserie. Aus diesem Grund verkaufte der ehemalige
BVG-Mitarbeiter - nun Mitarbeiter der Firma Gaubschat - im
Jahr 1975 den Wagen 610. Bei dem neuen Besitzer ab Mai 1975 änderte
sich das Kennzeichen in B-AN 2990. Erneut weiterverkauft wurde
der Bus schon im März 1976 und noch einmal im Jahr 1979.
Die Zulassung B-AN 2990 trug der Bus längstens bis 1979,
danach wurde er nur noch mit roten Kennzeichen gefahren.
Von
1979 bis 1988 stand 610 überwiegend in einer Scheune in
Groß Ösingen (Lüneburger Heide), wurde jedoch
in den Sommermonaten noch als Campingbus benutzt. Im Juni 1988
erfolgte ein erneuter Weiterverkauf an zwei Privatleute in
Sprakensehl-Behren (Lüneburger Heide). Auch hier wurden
zunächst noch Fahrten unternommen, ab 1992 war 610 dann
jedoch abgestellt und diente nur noch als feststehender beheizter
Wohnraum.
Bis zur Bergung durch Traditionsbus Berlin am 21.
November 1998 stand der Bus die letzten Jahre fest auf einer
Wiese. Durch die lange Standzeit waren die Reifen tief in den
Boden eingedrückt, der Wagenkasten setzte auf der Wiese
auf. Die Zugkraft von 240 PS durch einen Unimog und einen
noch davor gehängten Traktor waren erforderlich, um 610
aus diesen Löchern herauszuziehen. Noch vor Ort erfolgte
eine erste Bestandsaufnahme über den Zustand dieses nun
46 Jahre alten Omnibusses. Der Zustand von Auf- und Unterbau
ist für die lange Standzeit erstaunlich gut. Abgesehen
von dünnen Streben unter der Plattform zeigt der Bus an
Gehäuse und Unterbau keine Durchrostung.
Selbst fahren
kann 610 zur Zeit allerdings nicht, die Überführung
nach Berlin erfolgte daher im Lkw-Schlepp. In einer ersten
Aktion wurde der Bus durch Mitglieder der Traditionsbus und
des Fördervereins der Traditionsbus innen komplett entkernt.
Sämtliche Campingeinbauten sowie die Doppelböden
wurden entfernt. Der Innenraum ist nun, bis auf die originalen
Decken- und Wandverkleidungen, völlig leer. Die Trennwand
zur Plattform ist vorhanden, die halb hohe Trennwand zum Fahrerplatz
dagegen fehlt. Wir planen, diesen einmaligen Omnibus - es gibt
kein zweites Exemplar davon - wie den Bus 415 (E2U
64) total zu rekonstruieren. Angestrebt wird die fahrfähige
Wiederherstellung, der immer noch vorhandene Büssing-U10-Aluminium-Motor
wird dann gegen einen Grauguss-Motor getauscht. Der entsprechende
Strang aus Motor und Schaltgetriebe ist bei uns vorhanden.
Ein Zeitrahmen für die Wiederherstellung kann noch nicht
genannt werden, dieser hängt von der Bereitstellung der
finanziellen Mittel ab. Veranschlagt werden für die Wiederherstellung
- wie beim Wagen 415 - mindestens 60.000,00 EUR . Uns
ist es durch die Vermittlung des Werkstattleiters des BVG-Hofes
Müllerstraße gelungen, den Kontakt zu dem ersten
Besitzer des Busses wiederherzustellen, der diesen Bus 1966
gekauft, ausgebaut und bis 1975 betrieben hat. Er wohnt heute
in Hamm/Westfalen. Nach 24 Jahren konnte er »seinen« Bus
bei Traditionsbus in Berlin zum ersten Mal wieder in Augenschein
nehmen. Er hat bereits aktiv bei der Beseitigung der Einbauten
geholfen und darüber hinaus wertvolle Hinweise zu diesem
Artikel gegeben.
Text: Frank von Riman-Lipinski
Dieser
Aufsatz wurde bereits in den "Berliner Verkehrsblättern",
Ausgabe 10/99 veröffentlicht und für die Einstellung auf
dieser Seite an einigen Stellen leicht überarbeitet.
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