Wagen 237
Büssing E2U 62S (Präsident 14R)
Aus meinem Leben
Gestatten, ich bin die Zierde der Traditionsbus Berlin, Präsident 14R, mit der Wagennummer 237...
Nie hätte ich gedacht, dass ich die Jahrtausendwende erleben und dann noch in die Hände so lieber netter Bengels gelangen würde, die mich hegen und pflegen und sorgsam mit mir umgehen - mit anderen Worten, mich schonend fahren. Welchem Autobus ist es schon vergönnt, über 40 Jahre alt zu werden?
Ja, ich bin ein Büssing E2U 62S, ein sogenannter »Präsident 14R«, am Beginn meines Lebens noch mit Schaffnersitz, damals das Modernste vom Modernen für großstädtischen Verkehr auf stark frequentierten Linien. Mein elegant-freundliches Gesicht mit den erstmals verwendeten »Panoramascheiben« fiel unter den bis dahin üblichen Berliner D2U- und E2U-Artgenossen sehr auf - fast genauso wie die um 1962 noch in den Westsektoren Berlins überall herumfahrenden westdeutschen »Solidaritätsbusse«.
Obwohl ich doch so elegant und schön aussehe und meine Jungs mich deshalb auch heute noch so lieben, schimpften damals vor vier Jahrzehnten viele Berlinerinnen und Berliner über mich und meine Brüder vom Stamme »Präsident 14R«. Als ich am 31. Januar 1962 zugelassen wurde, verfügte ich über nur 28 Sitzplätze, bot aber 85 Stehplätze. Im Gegensatz also zu den Doppeldeckern, die nur 90 Personen befördern konnten, passten 113 Menschen in meinen Bauch, die meisten allerdings stehend, dicht gedrängt auf meiner riesigen Heckplattform oder im Gang zwischen Schaffnersitz und Fahrerplatz. Was die sitzplatz-verwöhnten Berliner aber am meisten empörte, war, dass mein Schaffner saß und sie als Fahrgäste stehen sollten. Deshalb hatten meine Brüder und ich auch beim Fahrpersonal »einen gewaltigen Stein im Brett«.
Die ersten Jahre meines Lebens arbeitete ich auf dem engen, verschachtelten Autobusbetriebshof Usedomer Straße in Wedding, wo meine Fahrer ganz schön aufpassen mussten, damit sie mit meinem langen Überhang hinten nirgendwo anstießen. Ich muss sagen, sie haben sich alle Mühe gegeben, auch wenn der eine oder andere mal über meine Bremse meckerte, die - auch erstmalig bei der BVG - eine reine Druckluftbremse war. Man musste eben gefühlvoll mit mir umgehen, dann tat ich alles, was meine Wagenführer von mir wollten. Die Freude der Schaffnerinnen und Schaffner, wenn sie mit mir Dienst tun durften, entschädigte mich ein wenig für die verbalen Grobheiten mancher Fahrgäste, mit denen ich bedacht wurde, wenn ich auf einer Doppeldecker-Linie eingesetzt wurde. Ein bisschen traurig war ich schon, dass nur wenige Leute anerkannten, dass bei mir fast nie jemand zurückbleiben musste, wenn ich mal auf dem 14er zwischen Alt-Heiligensee und Gesundbrunnen/Rügener Straße Dienst tat. Wie oft mussten die Menschen beim Doppeldecker bei Wind und Wetter wegen Vollbesetzung zurückbleiben...
In den ersten beiden Jahren meines Buslebens durfte ich so herumfahren, wie ich geschaffen worden war: In dieser Zeit verdiente ich mir für meinen lebensnotwendigen Diesel noch etwas durch meine Kleidung hinzu und trug als Bauchbinde die weiße Werbung »Zum guten Bier Doornkaat«. Dann kam das schlimmste Erlebnis meines Lebens: Ich wurde im September 1964 zum Haupt-Buskrankenhaus - damals standen auch noch unsere entfernten Verwandten darin, die nur auf Schienen fahren konnten - in die Uferstraße gebracht und dort entfernte man meinen Schaffnersitz und die Hecktür; die Plattform wurde mit Sitzen überbaut. Als ich Anfang 1965 zum Einmannwagen umgebaut zum Autobusbetriebshof Helmholtzstraße gebracht wurde, nun nur noch zweitürig und mit 40 Sitzplätzen und nur noch 46 Stehplätzen, schämte ich mich vor meinen Brüdern, die sich noch »in voller Pracht« dreitürig in den Straßen zeigten, obwohl die meisten unseres Stammes das gleiche Schicksal ereilte. Die Wagen 157 - 299 wurde alle umgebaut wie ich. Nur 74 von uns durften ihren Schaffnersitz mit Hecktür behalten. Aber wenn ich mir im Nachhinein das alles so betrachte, war mir doch das Schicksal wohl gesonnen. Mein Bruder 155, der so stolz bis zuletzt »vollständig« auf seiner Stammlinie 86E und dann noch ein Dreivierteljahr auf der »Präsi mit Schaffnersitz«-Domäne 17 unterwegs gewesen war, steht als Leichnam in Fahrland, den können selbst meine wohlmeinenden Besitzer von der Traditionsbus nicht mehr ins Leben zurückholen. Und Bruder 323, der bis »zum letzten Ende« unseres Stammes in Berlin seinen Diesel auf der Linie 75 verdiente, sieht zwar noch blendend aus, ist aber ein lebender Toter, denn er steht immer nur im Deutschen Technikmuseum herum und darf schon seit drei Jahrzehnten nicht mehr fahren...
Vom Autobusbetriebshof Helmholtzstraße wurde ich auf den Einmannlinien eingesetzt, nur ganz selten durfte ich noch eine stark frequentierte Schaffnerlinie bedienen. Dann musste der Schaffner allerdings in mir herumlaufen und stand im Dienst meist an meiner Mitteltür, die ja nun die hinterste war. Dort stiegen dann die Leute aus und ein; vorne durfte im Schaffnerbetrieb nur ausgestiegen werden. Dazu wurden dann die Schilder umgesteckt, an den Türen außen und über den Türen innen. Der Fahrer schaltete die Türkontrolle von »vorn« auf »hinten« und das Haltesignal von »Licht« auf »Summer«. Das entschädigte mich ein wenig für die »Verstümmelung«, dass ich nun beides konnte: Im Einmannbetrieb und im Schaffnerbetrieb funktionieren. Von Juli 1965 bis Juli 1971 trug ich als Kleid immer noch die weiße Bauchbinde, aber nun »Doornkaat, seit 1806«. In diesem Zustand verbrachte ich zwei Jahre, dann bekam ich über meine freundliche Schnute eine Banderole, auf der weiß auf rot »Einmannwagen« zu lesen war. Die Signalknöpfe an den Haltestangen der Mitteltür wurden tiefer gesetzt und die Möglichkeit der Türkontrolle »hinten« abgebaut. Ich kam nun in der Regel nur noch auf Einmannlinien zum Einsatz. Trotzdem durfte ich auch noch »Schaffnerlinien-Luft« schnuppern, nämlich wenn ich als »Sichtkartenwagen« eingeteilt wurde. Das machte dann Spaß, wenn mein Fahrer sich Mühe gab, ohne Schaffner mit den schnelleren Schaffnerwagen »Schritt zu halten«. Meine Güte, was für verschiedene Verwendungsarten habe ich erlebt...
Im Juli 1971 bekam ich eine blaue Bauchbinde und warb für Wodka Nikita. Da habe ich also mein ganzes BVG-Leben immer für Schnaps geworben, aber für mich und meine Fahrer wäre das natürlich nicht gut gewesen, so ein Zeug zu trinken; deshalb blieb ich lieber beim Diesel und meine Wagenführer schlürften ihren Kaffee oder Tee, damit sie gut beieinander blieben und ich nicht Angst haben musste vor Unfällen, bei denen ich verletzt worden wäre. Seit Mai 1972 war ich auf dem Betriebshof Britz an der Gradestraße beheimatet, meine Ausmusterung erfolgte schon am 16. Februar 1973. Nun ja, immerhin doch elf Jahre, obwohl die BVG damals Eindecker schon nach acht Jahren abschrieb. Aber einige meiner »Schaffnersitz«-Brüder des Baujahres 1963 »schipperten« noch bis Ende 1976 - also 13 Jahre - auf der Linie 75 dahin, wie ich später erfahren habe. Allerdings waren die auf dem Betriebshof Lichterfelde, Hindenburgdamm Ecke Geranienstraße, stationiert. Im Gegensatz zu meinen »Einmann«-Brüdern rettete mich ein gnädiges Schicksal vor der Verschrottung. Jahrelang dämmerte ich mit Einzelexemplaren anderer Autobustypen neben alten U-Bahnen und Straßenbahnen in den Hallen des Betriebshofes Britz dahin und nur an den »Tagen der offenen Tür« kamen Besucher, um mich zu bewundern. Das war jedes mal herrlich. Das schönste Erlebnis meines bisherigen Lebens aber war es, wie mich die netten Jungs von der Traditionsbus dann im Mai 1993 aus dem Museum geholt haben und mich liebevoll wieder fahrfähig machten. Das war wie ein Jungbrunnen für mich. Und im Jahre 1998 stieß sogar ein ganz alt gedienter kleiner BVGer zur Traditionsbus, der mich kurzerhand für Sonderfahrten zum »Schaffnerwagen« umfrisierte (trotz der Banderole »Einmannwagen«). Sein gewichtiger Fahrer und er steckten einfach ein »Schaffnerwagen«-Schild hinter die Frontscheibe. Das war zwar nicht ganz historisch, aber das hat Riesenspaß gemacht. Die Leute stiegen in der Mitte an meiner hinteren Türe ein und vorne aus und der Summer war als Abfahrt- und Durchfahrsignal wieder in Aktion. Ich zeige mich dafür immer von meiner besten Seite und bringe den Traditionsbussern, die mich so lieben, als Filmschauspieler (unter anderem im SAT1-Dreiteiler »Der Tunnel«) sogar Geld ein, das sie dringend brauchen. Ich wünschte, mein jetziger Zustand des Glücks würde ewig währen....
Text: 237 (souffliert von Hanne Buhl, dem »kleinen BVGer«, für den »Präsidenten« schlicht »heilige Kühe« sind)