Wagen 3680
MAN D 88
Als ich Sommer 1988 mit meinen Eltern aus dem Urlaub zurückgekommen bin und auf der obligatorischen Kontrollfahrt mit meinem Fahrrad mal geschaut habe, was sich an Änderungen bei den eingesetzten Bussen auf meiner Hauslinie, dem 2er, so alles während meiner Abstinenz getan hat, glaubte ich, meinen Augen nicht zu trauen.
Mit der Auflösung des Betriebshofes in Lichterfelde, der auch die Linie 2 (heute M82 und 181) bediente, und der teilweisen Übernahme dieser Leistungen durch den Hof in der Cicerostraße zum 1. Februar 1988 war auf meiner Provinzlinie etwas mehr „Internationalität“ eingekehrt: die sonst nur auf dem Ku’Damm fahrenden Busse des Hofes Cicerostraße mit ihren sowieso immer schon spannenderen Werbungen und Fahrzeugen fanden nun – neben den Britzer und Zehlendorfer Wagen - auch vereinzelt auf den 2er, aber das, was da nun auf meiner Linie auftauchte, kam mir damals wie ein Kulturschock vor.
War die Linie 2 damals sowieso noch SD-200-Hochburg und die wenigen D-Wagen (damals gab es berlinweit gerade erst einmal 143 SD 202) eher auf solchen Linien wie der 19 (heute M19), 29 (heute M29), 48 (heute M48) oder 52 (heute M11 und 172) im Einsatz, kam doch an diesem Julitag auf einmal ein Bus mit nunmehr roten statt braunen Haltestangen, einem vergrößertem Stellplatz gegenüber der Ausstiegtür und ein Rollstuhlfahrersignet auf der Front vorgefahren. Und die Wagennummer: 3680. Meilenweit weg von der damals mir bekannten höchsten Wagennummer bei den D-Wagen, der 3642. Und jede Ecke des Busses blitzte und blinkte, so neu war er…
Lange vor Zeiten des Internets oder bevor ich über entsprechende Hobbyvereine auf Gleichgesinnte gestoßen bin, (die mich vielleicht auf sowas vorbereitet hätten) kam mir das, was da nach meinem Urlaub auf meiner Dorflinie, dem 2er, präsentiert wurde, fast wie ein Ufo vor. Ein nagelneuer Bus und innen etwas anders gestaltet als das, was ich bisher kannte. Noch am selben Tag habe ich daher beschlossen, bei nächster Gelegenheit am Hof Zehlendorf nachzuschauen, was da so alles an Neufahrzeugen herumsteht. Und tatsächlich, schon am nächsten Sonntagmorgen ging’s also in die Winfriedstraße und das Gelände des Betriebshofes Zehlendorf wurde einmal zu Fuß umrundet. Zwar habe ich „meinen“ 3680 dort nicht angetroffen, allerdings stand mit dem ebenfalls am 11. Juli 1988 erstmals amtlich angemeldeten Wagen 3676 ein zweiter nagelneuer Doppeldecker neben der Werkstatthalle.
Wie ich später feststellen sollte, gehörten beide Wagen einem zwölf Fahrzeuge umfassenden Nummernblock an (Wagen 3676 bis 3687), die bei der Indienststellung dem Hof Zehlendorf zugewiesen worden sind. Den damals noch in den Kinderschuhen steckenden Bestrebungen, auch Rollstuhlfahrern die Mitfahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln zu ermöglichen, folgend, waren die Wagen zunächst überwiegend auf der Linie 48 im Einsatz.
Da 3680 nicht zu den sechs Zehlendorfer Bussen dieser Serie gehörte, die mit einem mechanischem System zur Fahrgastzählung durch Ermittlung der Fahrzeugbeladung gehörte (verdanken wir bestimmte Linientakte dieser Zeit eigentlich nur dem Umstand, dass im Streckenverlauf vielleicht mehrere Weight-Watchers-Gruppen ihre Treffen abhielten…?) womit der Bus nicht zwingend in Zehlendorf stationiert bleiben musste, wurde der Bus im Frühjahr 1992 anlässlich eines Fahrplanwechsels zum Betriebshof in der Helmholtzstraße abgegeben. Zwischenzeitlich zierte den Wagen eine Bandwerbung für „Goldstar Audio und Video“ (von Dezember 1988 bis Februar 1991; 2. Version der Werbung), der eine Reklame für das Waschmittel „Persil“ folgte (von März 1991 bis Januar 1997 in der 7. Version der Werbung, danach folgte die Version 8).
Nach mehr als zwölf Einsatzjahren kam dann erst mal das aus für Wagen 3680. Starke Korrosionsschäden an tragenden Teilen des Fahrzeugaufbaus waren der Grund dafür, den Bus ab dem 20. Dezember 2000 zunächst abzustellen und dann amtlich abzumelden. Wie so viele andere Busse der Bauart SD 202 auch, wurde 3680 zunächst auf einem Abstellgelände der BVG hinterstellt und harrte weiterer Entscheidungen durch seinen Eigentümer, die BVG. Diese entschied sich dafür, neben so gut wie allen Wagen der Bauart SD 202 ab Baujahr 1989 auch einige älteren Wagen einer Aufarbeitung zu unterziehen, womit 3680 am 6. Mai 2003 vom Abstellgelände der BVG zur BVG-Hauptwerkstatt überstellt wurde.
Bereits am 8. Dezember 2003 kehrte der frisch instand gesetzte, neu lackierte und aufgearbeitete Wagen in den Liniendienst zurück. Da die Zuteilung der bereits amtlich abgemeldeten und dann nach der Aufarbeitung wieder in Dienst gestellten Busse nach dem aktuellen Bedarf zum Zeitpunkt der Wiederzulassung erfolgte, gelangte 3680 nun vom Betriebshof Müllerstraße aus in den Einsatz. Jahrelang war der Bus ohne eine neue Reklame im Einsatz, bis 3680 als einer von acht SD 202 im Dezember 2007 in den Genuss kam, mit einer Kurzzeitwerbung im Format eines so genannten Berlin-Boards einen Monat lang für die Telefongesellschaft Versatel zu werben. Ende März 2008 erhielt das Fahrzeug dann wieder eine „richtige“ Reklame und warb nun für die Fluggesellschaft „Germanwings“ (Version 1b, „fly“). Wenige Tage zuvor ist Wagen 3680 erneut umgesetzt worden. Statt von der Reinickendorfer Müllerstraße aus kam der Bus nun im Bezirk Spandau vom dortigen Betriebshof aus zum Einsatz.
Im Dezember 2009 schied 3680 als einer der letzten SD 202 aus dem BVG-Bestand aus. Ein Defekt am Getriebesteuergerät - also ein recht geringer Schaden - ließ den Wagen somit nur wenige Tage vor dem absehbaren Ende der gesamten Bauart den Dienst quittieren. Den Ausschlag hierzu gab letztendlich das Bestreben der BVG, mit dem Fahrplanwechsel zum 13. Dezember 2009 nur noch sogenannte barrierefreie Busse einzusetzen.
Wagen 3680 repräsentiert - ebenso wie der Wagen 3708 aus der Nachfolgeserie D89 – die mittlere Fahrzeuggeneration der SD 202. Im direkten Vergleich beider Busse miteinander können zukünftig die verhältnismäßig großen Bauartunterschiede beider Fahrzeugserien zueinander dokumentiert werden. Der Bus wird gegenwärtig instandgesetzt und ist dann wieder zulassungsfähig.
Text: C. Neuhaus,
Stand Mai 2013