ADL DL (ADL Enviro500), Wagen 3550 - 3749
(Doppeldecker, lang)
Nachdem in den Jahren 2009 und 2010 letztmalig mit den 104 Fahrzeugen vom Typ MAN DL 09 eine nennenswerte Anzahl von neuen Doppeldeckern bei der BVG in Dienst gestellt wurden, blieb der Doppeldeckerbestand in den Folgejahren mit 415 Wagen relativ stabil, so dass offenbar für rechtzeitige Ersatzbeschaffungen von Dreiachsdoppeldeckern keine unmittelbare Notwendigkeit gesehen wurde. Vielmehr wurde mit der Erprobung der Wagen 3093 und 3094 sondiert, ob eine Ergänzung des BVG-Wagenparks durch kleinere Zweiachsdoppeldecker eine Optimierung des Busbestandes darstellen könnte.
Erst als im Jahr 2018 die ersten altersbedingten Abgänge bei den MAN DL-Dreiachsdoppeldeckern erfolgten startete die BVG das Ausschreibungsverfahren für neue Dreiachsdoppeldecker für den Linienbetrieb – und somit viel zu spät, um einen rechtzeitigen zahlenmäßig gleichwertigen Ersatz für ausscheidende Altfahrzeuge sicherzustellen. Da der von MAN gefertigte A39 („Lion’s City DD“) seitens des Herstellers schon Jahre zuvor aus dem Fertigungsprogramm genommen wurde und MAN kein für Berliner Bedürfnisse vorhandenes Ersatzmodell anbieten konnte, wurde – für Kenner der Szene wenig überraschend – im Herbst 2020 mit dem schottischen Fahrzeughersteller Alexander Dennis Limited (ADL) der Sieger dieses Verfahrens verkündet. Die Firma ADL ist einer der größten Hersteller von Liniendoppeldeckern in Europa und hatte mit dem Enviro500 ein für Berlin passendes Modell in der Fertigung, von dem europaweit bereits viele Exemplare im Einsatz standen.
Mangelnde Erfahrung mit einem Fahrzeug dieses Herstellers kann man dabei auch der BVG nicht vorwerfen, verkehrte doch im November 2015 ein auf das Kennzeichen „B-AD 441“ zugelassenes Testfahrzeug vom Typ ADL Enviro500 in Berlin. Der nach US-Standards ausgestattete Testbus kam vom Betriebshof Spandau aus auf einem festen Umlauf der Linie X34 zum Einsatz. Die Wahl auf die Firma ADL als Lieferant von Berlins neuen Doppeldeckern kann getrost als gravierender Einschnitt bezeichnet werden, stammten doch bis auf die beiden Testbusse 3093 und 3094 alle bisher in Berlin verkehrenden Liniendoppeldecker aus deutscher Produktion.
Im Rahmen einer am 21. Oktober 2020 auf dem Betriebshof Müllerstraße abgehaltenen Pressekonferenz wurden die beiden Vorserienfahrzeuge für Berlin, die Wagen 3550 (als „Alexandra“ gekennzeichnet) und 3551 (als „Dennis“ gekennzeichnet), vorgestellt und an die BVG übergeben. Beide Busse wurden am 2. Dezember 2020 amtlich zugelassen und dem Wagenbestand des Betriebshofes Cicerostraße zugewiesen. Während einer der beiden Busse fortan auf der Linie 100 zum Einsatz kam, wurde der jeweils andere für Personal- und Technikerschulungen verwendet.
Nach Abschluss der mehrmonatigen Testphase verkündete die BVG am 4. April 2021 schließlich die Auslösung der Bestellung von weiteren 198 Fahrzeugen vom Typ ADL Enviro500. Der Zugang dieser Fahrzeuge erfolgte ab Ende 2021 mit der amtlichen Anmeldung der Wagen 3552 und 3553 am 16. Dezember 2021. Die BVG begleitete die beginnende Indienststellung der Serienfahrzeuge mit der Ankündigung des Ersteinsatzes der Serienfahrzeuge ab dem 23. Dezember 2021 im Zuge der Linie X83. Tatsächlich verkehrte an diesem Tag der Wagen 3552 vormittags auf der Linie X83. Da aber der den Fahrer des Wagens 3552 ablösende Kollege noch keine Schulung für diesen Wagentyp erhalten hatte, musste der Neuwagen mittags gegen ein Altfahrzeug getauscht werden.
Erst ab dem Frühjahr 2021 gelangten weitere ADL-Busse zu BVG. Im Gegensatz zu den Wagen 3550 bis 3553, die die Abgasklasse „EURO-VId“ erfüllen, „schafften“ die ab dem März 2021 in Dienst gestellten Busse ab Wagen 3554 die Abgasnorm „EURO-VIe“. Als letzte Fahrzeuge fehlten im Februar 2024 die Wagen 3644, 3712 und 3716 im Liniendienst, so dass seit der Vorstellung der beiden Vorserienbusse im Oktober 2020 bis zur Inbetriebnahme des letzten ADL-Busses über 40 Monate vergingen. Die schleppende Indienststellung lag einerseits an diversen noch zu beseitigenden technischen „Kinderkrankheiten“ an diesen Bussen, andererseits an noch nicht erfolgten Unterweisungen des Fahrpersonals auf diesen Fahrzeugen. So wurden zunächst die BVG-eigenen Personale im Umgang mit den neuen Doppeldeckern geschult, erst im Anschluss daran die Personale der Fahrdiensttochter der BVG, der Firma BT (Berlin-Transport).
Die ersten Einsätze der Enviro500 erfolgten daher grundsätzlich auf Linien mit BVG-Fahrpersonal (zum Beispiel die Linien 101, 186 und 285) und wenn sichergestellt war, dass alle an diesem Tag für einen Dienst auf diesem Wagenumlauf eingeteilten Personale bereits die Typenschulung durchlaufen hatten. Ein Wagentausch aufgrund mangelnder Typenschulung des ablösenden Personals ist sowohl wagen- als auch personalintensiv und sollte so unbedingt verhindert werden. Erst ab Mitte November 2022 (und somit zwei Jahre nach der Vorstellung der Vorserienfahrzeuge!) waren die Schulungen des BT-Personals soweit fortgeschritten, dass Enviro500 auch auf von diesen bedienten Umläufen zum Einsatz kamen. Nicht so schnell abgestellt werden konnte hingegen die anfängliche technische Anfälligkeit der Busse, von denen ein nicht unerheblicher Teil aufgrund verschiedenster Mängelgründe oder wegen Ersatzteilemangel manchmal über Monate nicht betriebsbereit war: Geschätzt zwischen einem Viertel und bis zu einem Drittel der noch neuen Fahrzeuge war so regelmäßig nicht einsatzfähig und Dauergast der Betriebswerkstätten. Da sich diese Mängel teils auch schon in den in Berlin ankommenden Fahrzeugen zeigten und vom Hersteller vor Ort noch vor der Übergabe an die BVG beseitigt werden mussten, erfolgte die Zuweisung der Neuwagen nicht in chronologischer Wagennummernreihenfolge, sondern nach dem jeweiligen Bedarf der Betriebshöfe zum Zeitpunkt der Wagenübergabe an die BVG.
Zudem wurden die Fahrzeuge vom Hersteller in mindestens zwei gesonderten „Produktionsstrecken“ gefertigt, was erkennbar wird, wenn man die Fahrzeuge entsprechend ihrer Fahrgestellnummer sortiert.
Die unterschiedlich schnelle und mutmaßlich willkürliche Aufteilung der zu fertigenden Wagen auf die Produktionsstrecken tat ihr Übriges zum Nummernchaos bei der Verteilung der Busse auf die Betriebshöfe zum Zeitpunkt der Indienststellung:
- Betriebshof Britz: 3576, 3588, 3595, 3596, 3598, 3600, 3605, 3606, 3613 – 3623, 3625 -3629, 3636, 3640 – 3642, 3645 – 3651, 3653 – 3655, 3658, 3659, 3672 – 3675, 3677, 3680, 3683 – 3685, 3700, 3701, 3705, 3722, 3728 – 3733, 3742 (60 Fahrzeuge)
- Betriebshof Cicerostraße: 3550 – 3575, 3577 – 3587, 3589 – 3594, 3597, 3599, 3601 – 3604, 3607 – 3612, 3624, 3630 – 3635, 3637 – 3639, 3643, 3644, 3652, 3656, 3657, 3660 – 3671, 3676, 3678, 3679, 3681, 3682, 3686 – 3699, 3702 – 3704, 3706 – 3721, 3723 – 3727, 3734 – 3741, 3743 – 3749 (140 Fahrzeuge)
Obwohl bereits im November 2022 amtlich zugelassen, gelangte der Wagen 3576 erst Mitte Juli 2023 zur BVG. Über die zwischenzeitliche Verwendung des Busses in diesen knapp acht Monaten ist bislang nichts bekannt geworden. Möglicherweise diente der Bus jedoch als Musterfahrzeug für die Serienzulassung der ADL Enviro500 durch die technischen Abnahmebehörden. Eine derartige Aufgabe wurde bei den MAN-DL-Bussen einst vom Wagen 3103 der Bauart DL 05 wahrgenommen, der – obwohl bereits im Herbst 2005 gefertigt – erst im Juli 2007 zur BVG gelangte.
Im Juli 2022 ist der Wagen 3550 versuchsweise mit dem neuen Sitzpolsterdesign namens „Muster der Vielfalt“ versehen worden. Hintergrund war hier eine juristische Auseinandersetzung mit Professor Herbert Lindinger als Schöpfer des so genannten „Würmchenmuster-Designs“, der der BVG die freizügige Nutzung dieses auch als „Urban Jungle“ bekannten Stoffmusters zunächst untersagte. Anfang 2023 erfolgte die Einigung mit dem Rechteinhaber des alten Sitzpolsterdesigns, so dass weitere Umbauten nicht mehr zwingend notwendig waren.
Im Frühjahr 2023 sind die Wagen 3550 bis 3601 und 3660 mit einem optischen Zählsystem zur Fahrgastzählung ausgestattet worden.
In der Nacht zum 20.1.2024 (und somit vor der Inbetriebnahme der letzten Wagen) brannte der Wagen 3709 an der Endhaltestelle Lichterfelde Süd komplett aus.
Text: Christian Neuhaus
Stand Juli 2024