Sehr geehrte Leserinnen und Leser, wir wollen hier keinen Personenkult betreiben, aber ohne Herrn Podzuweit gäbe es die Doppeldecker der Typen SD und D wahrscheinlich nicht in der bekannten Bauart.
Es mag vor ungefähr 20 Jahren gewesen sein, als ich mit einem unserer Büssing DE Wagen anläßlich einer Tagung der HTW (Hochschule für Technik und Wirtschaft) zum Thema Fahrzeugtechnik unterwegs war. Unterwegs stellte sich mir Herr Podzuweit vor mit der Bemerkung, er hat die Bodengruppe des SD Doppeldeckers konstruiert. Für ein längeres Gespräch hatten wir keine Zeit. Wer mich bei einem Dienst auf der Linie 218 erlebt hat, der weiß, dass ich gelegentlich Grundzüge des eingesetzten historischen BVG-Busses erkläre. Den SD erhebe ich zur Ikone der Liniendoppeldecker auf dem europäischen Kontinent, weil von keinem anderen Bustyp mehr Wagen gebaut wurden als von diesem – 968 Stück! Auch den Konstrukteur der Bodengruppe, Herrn Podzuweit erwähne ich zuweilen.
Im August erhielt ich Post von Herrn Podzuweit, die mir ein alter Bekannter bereits angekündigt hatte. Er und Herr Podzuweit befanden sich vor etlichen Jahren im Austausch, als ein umfangreichen Aufsatz über die SD Prototypen 2514 und 2515 entstand. Im Umschlag fand ich eine CD, die an die 200 Seiten Text beinhaltet, die Herr Podzuweit über „seine“ Konstruktion geschrieben hat. Kurzentschlossen rief ich ihn in Dachau, einer Nachbarstadt von München, an. Sein Anliegen war, einen der frühen SD Doppeldecker in Teilen zu vermessen und dokumentieren, um einige kleine Erinnerungslücken schließen zu können. Das war zwei Wochen vor unserer Traditionsfahrt, die am 14. September stattfand. Zu meiner großen Überraschung und Freude teilte mir der 84-jährige mit, er werde die Gelegenheit nutzen und nach Berlin reisen. Ein Hotelzimmer war schnell gebucht und dann trafen wir uns um 11:45 an der Endstelle Rathaus Zehlendorf an unserem SD 74, Wagen 2626. Für mich war und ist es eine große Ehre, bei meinem Dienst mit 2626 den Konstrukteur dieses Busses wiedergesehen zu haben. Er (und ich) strahlte(n) über beide Ohren und das macht ihn mir absolut sympathisch. Er fuhr eine Weile mit und wird sich gedacht haben, meine Mühen haben sich gelohnt – ein guter Bus! Und das 55 Jahre nachdem er seine Arbeit zur Konstruktion der Bodengruppe begonnen hatte.
Am folgenden Tag trafen wir uns wieder und er hatte die Möglichkeit, sich in aller Ruhe 2626, der mittels einer Radgreifanlage angehoben wurde, anzusehen. Das war gut so, um seine Erinnerung an einige Konstruktionspunkte schärfen zu können. Begleitet wurde dies von einem gestandenen KFZ-Mechaniker, der 1973 seine Ausbildung bei MAN in Berlin begonnen hatte und einiges zu Produktionsmängeln der früh gelieferten Bodengruppen, die im Werk Salzgitter-Watenstedt gefertigt wurden, zu berichten wusste. Anschließend zeigte ich Herrn Podzuweit anhand von diversen Hinterachsen die Weiterentwicklung vom SD 200 zum SD 202. Auch ein teils als offenes Gerippe existierendes Fahrzeug vom Typ D = SD 202, das zum Umbau auf Elektroantrieb vorgesehen war, konnte ich ihm präsentieren. Kurzum: Herr Podzuweit war sehr zufrieden, spontan nach Berlin gereist zu sein. Seine Erwartungen wurden deutlich übertroffen. Und mir wurde klar: Der SD ist ein ganz großer Wurf! Wäre der Bus nach den ursprünglichen Plänen mit stufenlosen Einstiegen gebaut worden, wäre er seiner Zeit noch wesentlich weiter voraus gewesen. Bei mir reift die Erkenntnis, alles was nach dem SD 200 bzw. SD 202 kam, weißt nicht eine derart durchdachte und innovative Konstruktion auf, wie diese Busgeneration. Und hiermit meine ich die DN mit ihrer kläglichen Stückzahl von 86 Serienwagen, die MAN DL (A39) und auch die aktuellen ADL Doppeldecker. Was sagte er mir: „Einen Dreiachser kann jeder bauen.“ Die Kunst liegt darin, das Gewicht derart zu verringern, dass die Fahrzeuglast von zwei Achsen getragen werden kann. Zum Abschluss einige Vergleichszahlen gemäß aktueller Zulassungsbescheinigungen bzw. Herstellerangaben
| Bustyp | Leergewicht [kg] | zulässiges Gesamtgewicht [kg] | Sitzplatzanzahl |
| Büssing DE | 9250 | 15800 | 90 bzw. 91 |
| MAN SD 74 schwerer Motor und schweres Getriebe |
9750 | 16250 | 88 |
| MAN SD 80 zweite Treppe sowie modifizierte, robustere Hinterachse |
10580 | 16500 | 81 |
| MAN SD 85 elektronische Anzeigen mit höherem Gewicht |
10670 | 16800 | 81 |
| MAN D 86 | 10970 | 17000 | 81 |
| MAN D 92 | 10995 | 18000 | 79 |
| MAN DN 95 | 11880 | 18000 | 71 |
| MAN DL 05 | 17275 | 26665 | 83 |
| ADL DL | 16400 | 26000 | 83 |
Sie sehen, die Fahrzeuggewichte gehen bis zu den MAN DL kontinuierlich nach oben. Der ADL ist wieder etwas leichter, aber alles andere als ein „Leichtgewicht“. Stehplätze habe ich in dieser Aufstellung nicht genannt, die bei den jüngeren Bussen wesentlich höher sind als bei den älteren Modellen. Aber wer will schon während der Fahrt stehen, wenn man Doppeldecker fährt…
Herr Podzuweit verließ nach Abschluss der Konstruktionsarbeiten und Vorstellung des SD Prototypen bei der BVG die MAN und entschied sich für eine Laufbahn beim TÜV und an einer Hochschule. Heute trägt er den Titel Professor! Sein Werk über die Konstruktion des SD 200 wird derzeit auf Grund der jüngsten Erkenntisse überarbeitet. Wenn es fertiggestellt ist, melden wir uns hierzu und wer möchte, kann es dann über uns beziehen.
Stefan Freytag