Vor 15 Jahren : Der erste Linieneinsatz eines ATB-Doppeldeckers


Wir schreiben das Jahr 1992. Die ATB bestand im vierten Jahr und die fahrbereiten Busse der kleinen, noch sehr bescheidenen Autobussammlung waren der erstmalig direkt von der BVG übernommene Bus 2556 (DE74) und der D2U 1606 (D2U 64). Dieser war gleichzeitig der einzige zu dieser Zeit zugelassene ATB-Bus, mit dem jedoch aufgrund seiner Zulassung als Sonderkraftfahrzeug nur acht Personen befördert werden konnten.

Auf einer der damals noch sehr häufigen „Forschungsreisen“ von ATB-Mitgliedern zum Aufspüren verkaufter BVG-Busse erweckte der DE 2437 (DE 72) auf einem Schrottplatz in Köln das Interesse der Berliner Autobusenthusiasten.

Dieser Bus wurde bei der BVG am 1. Oktober 1985 abgestellt, aber erst drei Jahre später gelangte er zum Verkauf an die Firma Zweischlingen-Reisen in Bielefeld. Als Reisebus mit der Zulassung GL-JC 635, später GL-DC 176, diente er auch außerhalb Deutschlands für alternative Busreisen.

Im April 1990 übernahm die Bank für Sozialwirtschaft in Köln den Bus aus der Konkursmasse des Bielefelder Unternehmens. 2437 war weiterhin zugelassen (D-SJ 202), aber unbenutzt abgestellt. Im Februar 1992 schließlich wurde er an die Firma Auto-Lenzen in Köln zum Verschrotten übergeben.

2437 war fahrbereit und innen weitestgehend original erhalten, als er auf diesem Schrottplatz stand und zerlegt werden sollte. Die ATB hat den Bus dort am 4. Juli 1992 gekauft und danach mit eigener Kraft und ohne technische Probleme am 8. und 9. August 1992 nach Berlin überführt.

 

Ebenfalls im Jahre 1992 hatte die ATB Kontakt mit den Verkehrsbetrieben in Potsdam (ViP) und in einigen Gesprächen wurde die Idee geboren, anlässlich der 1000-Jahr-Feier der Stadt Potsdam 1993 einen historischen Bus in der Stadt einzusetzen. Wobei wohlgemerkt von einem historischen Bus die Rede war und am bestem von einem Bus, der auch nach Potsdam passte (historischer Ikarus oder dergleichen). Es ging also nicht von Anfang an um den Einsatz speziell eines Berliner Doppeldeckers. Dem VIP schwebte vor, in den Sommermonaten einen solchen Bus als besondere Attraktion im Linienverkehr einzusetzen.

Noch während der VIP sich darüber Gedanken machte, was für ein historischer Bus das sein könnte, bot die ATB den Einsatz eines ihrer DE-Doppeldecker (zwei waren ja immerhin schon vorhanden) an. Eine Bedingung für diesen Einsatz war, dass der Bus während der gesamten Einsatzzeit von einem ATB-Mitglied gefahren werden sollte.

Im folgenden einigte man sich auf einen solchen Einsatz und es wurde vereinbart, dass der einzusetzende Bus vorher umfassend instand gesetzt wird. Die Wahl für einen Linieneinsatz in Potsdam fiel auf den Bus 2437, da dieser durch die Fremdnutzung nach dem Verkauf durch die BVG in der Grundsubstanz nicht mehr so ansprechend war. Auch gab es einige Rostschäden am Untergestell und am Aufbau. Der alternative Wagen 2556 hingegen war noch im originalen BVG-Zustand und sollte auch so bleiben.

So kam es also zu einer Vereinbarung noch im Jahre 1992 zwischen der ATB und dem VIP über den Einsatz des vorher aufgearbeiteten Busses 2437 auf der Ausflugslinie A1, die vom S-Bahnhof Potsdam-Stadt rund um den Schlosspark vom Schloss Sanssouci bis zum Schloss Charlottenhof führte. Diese Linie sollte im Sondertarif und gleichzeitig als touristische Stadtrundfahrtlinie verkehren, auf der der Fahrer während der gesamten Fahrt alle Gebäude, Sehenswürdigkeiten und auch die Geschichte Potsdams zu erklären hatte.

Als Einsatzzeit wurde der Zeitraum April bis Oktober 1993 festgelegt.

Es wurden entsprechende Verträge geschlossen, und auf dieser Basis übergab die ATB den Bus 2437 Anfang Februar 1993 an die Firma Kraftfahrzeuginstandsetzung (KIB), einem Betrieb, der sich nach der Schließung des Autobusbetriebshofes Treptow in der Eichenstraße ebendort ansiedelte.

Der Bus wurde außen unterhalb der Unterdeckfenster rundherum und im vorderen Bereich am Dach entblecht, anschließend wurde das Tragwerk komplett instand gesetzt und der Bus neu verblecht. Auch im Innenraum liefen umfangreiche Restaurierungsarbeiten. So wurde der Bodenbelag der Gangwanne im Unterdeck erneuert.

Zwei Monate später, am 2. April 1993, konnten die Mitglieder der ATB den neu lackierten Bus bei der KIB abholen.

Dieser Augenblick war ein erhebenes, man muss schon eher sagen, ein strahlendes Gefühl !!!

Keines der ATB-Mitglieder hatte je einen aufgearbeiteten und strahlend neu lackierten DE so bewusst gesehen und erst recht nicht besessen !

Nun aber rannte die Zeit erbarmungslos dahin, nur noch sieben Tage verblieben bis zum Tag des Ersteinsatzes, und es gab noch jede Menge zu tun.

So musste z.B. die gesamte Beschriftung wieder angebracht werden, die Bestuhlung überarbeitet, d.h. defekte Polster getauscht und der Bus einer Grundreinigung unterzogen werden. Es folgte eine komplette technische Wartung und damals waren ja alle Traditionsbusser noch eher Laien und der Bestand an Ersatzteilen und Spezialwerkzeugen war auch noch nicht so umfangreich wie er es heute ist. Nicht zu vergessen waren dann natürlich auch die technischen Abnahmen und die erneute Zulassung (B-EN 2437).

Alles in allem schraubten, hämmerten, putzten und fluchten die ATBer noch in der Nacht vor dem 9. April 1993. Und erst einige Stunden vor diesem denkwürdigen Einsatz des ersten Doppeldeckers der ATB im Fahrgastverkehr auf einer Linie war 2437 wirklich fertig und einsatzbereit.

Ebenfalls im Vorfeld musste eine komplette Beschilderung für diesen Bus für die Linie A1 hergestellt werden. Zu diesem Zweck wurden in mühevoller Kleinarbeit die Texte für die Zielschilder ‚S  Potsdam-Stadt' und ‚Schloss Charlottenhof über Sanssouci/Neues Palais' und ‚Rehbrücke Autobusbetriebshof' mit jedem einzelnen Buchstaben von bestehenden BVG-Zielschildern passend zusammengesucht, zu einer Schablone zusammengefügt, auf leere Originalschilder übertragen und dann fein säuberlich von Hand mit Eddingstift ausgemalt (Pedanten waren die ATBler schon immer, sicher hätte man die Schilder auch einfacher herstellen können, aber nein, es ist wie heute…. es musste die Originalschrift sein).

Und noch eine weitere Hürde gab es zu überwinden: die Frage des Fahrers. Das ATB-Gründungsmitglied Frank von Riman-Lipinski war bereits als Autobusfahrer seit 1988 bei der BVG tätig und verfügte über genügend Fahrpraxis, diesen Linienbetrieb durchführen zu können. Doch kann man ja nicht einfach eben mal ein halbes Jahr nicht zur Arbeit gehen. Es blieb aber die Bedingung der ATB, das der Bus durch ein ATB-Mitglied gefahren werden sollte und so begannen Verhandlungen zwischen der Geschäftsleitung des VIP und der Geschäftsleitung der BVG, in dem der VIP offiziell nach einer ‚Leihgabe' dieses Kollegen fragte. Nach zwei Gesprächsrunden mit Vertretern der Vorstände beider Verkehrsbetriebe einigte man sich auf eine Freistellung des Kollegen von Riman-Lipinski ohne Bezüge bei der BVG für ein halbes Jahr.

Bislang war es jedoch noch nicht vorgekommen, dass ein Mitarbeiter sich freistellen lässt, um dann woanders wieder arbeiten zu gehen. Das brachte dem Vorstand der BVG dann doch einige Sorgenfalten, aber schließlich fand sich auch hier ein vertraglicher Weg, in dem die Freistellung ausdrücklich mit einem erheblichen betrieblichen Interesse seitens der BVG begründet worden ist.

So wurde der BVGer in den Reihen der ATB dann offiziell als Autobusfahrer beim Verkehrsbetrieb Potsdam (VIP) eingestellt, in Linienkenntnis und den örtlichen Tarifen geschult sowie anschließend in der Potsdamer Kleiderkammer neu eingekleidet.

So weit so gut, aber es waren noch nicht alle Hürden genommen worden :

Die Tarifunterschiede zwischen Ost und West in der Lohnzahlung !

Eingestellt werden konnte der Kollege von Riman-Lipinski nur zur ortsüblichen Vergütung von 84 % des Westlohns. Auch hier fand sich schließlich eine Lösung, diesmal innerhalb der ATB. Für diese sechs Monate legten alle ATBler zusammen und bezahlten dem Kollegen jeden Monat die Differenz von 84 zu 100 % des Westlohns aus der eigenen Tasche.

Dann endlich war es soweit: Am 9. April 1993 morgens gegen 9 Uhr startete am S-Bahnhof Potsdam-Stadt in Anwesenheit von Vertretern der Geschäftsleitung des VIP zum allerersten mal ein Linienbus der ATB, der aber mangels einer Konzession offiziell gar kein Linienbus der ATB sein durfte, sondern der eigens für diese Einsatzzeit beim VIP in Potsdam konzessioniert worden war.

Bis in den Oktober dieses Jahres hinein fuhr der Kollege von Riman-Lipinski mit 2437 täglich seine Runden und der Bus erfreute sich zunehmender Beliebtheit,  zu der auch die wiederholte Berichterstattung in der Presse beitrug. Ein einziges Mal blieb der Bus an der historischen Mühle in Sanssouci liegen, der Tank war leer, ärgerlicherweise hatte man vergessen zu tanken !

Abenteuerlich war die Außenwäsche des Busses auf dem Betriebshof in Potsdam. Eine automatische Waschanlage, wie bei der BVG üblich – also durchfahren und fertig – gab es in Rehbrücke nicht. Stattdessen existierte eine verschiebbare rotierende Bürste auf einem klapprigen Handwagen mit einem Wasserschlauch dran, die man am Bus entlang schieben musste und die nicht nur den Bus, sondern denjenigen, der sie schob, jedes Mal auch gleich vollgespritzt und mitgewaschen hat. Dumm auch, dass es beim VIP keine Doppeldecker gab. So war die Bürste nicht hoch genug und ließ ab den Oberdeckfenstern immer alles unbehandelt.

Aufgrund mangelnder Fahrgastnachfrage wurde die Linie A1 schon zweieinhalb Monate nach der Eröffnung vom Schloss Charlottenhof zum Neuen Palais zurückgezogen und fuhr fortan nur noch zwischen dem S-Bahnhof Potsdam-Stadt und dem Neuen Palais. Für die ATB hieß das wieder neue Zielschilder ‚Neues Palais über Sanssouci' herstellen.

Alles in allem lief dieser sechsmonatige Einsatz reibungslos und sollte sogar noch einmal wiederholt werden !

Zwei Jahre später, 1995, sollte 2437 noch einmal in Potsdam auf die Linie A1 zurückkehren, diesmal allerdings wurde er durch vorher eingewiesenes Personal vom VIP gefahren. Und auch dieser Einsatz erstreckte sich über die Sommermonate 1995.

Die damals an den Tag gelegte Zuverlässigkeit – sowohl des Fahrpersonals als auch der Fahrzeuge – bei der Übernahme von Fahraufträgen war der maßgebliche Grundstein dafür, dass auch seitens der BVG die Vorteile einer Zusammenarbeit mit der ATB erkannt worden sind, woraus der mittlerweile seit dem Jahr 2000 resultierende Einsatz eines ATB-Busses auf die Linie 218 im Auftrag der BVG entstanden ist.

Text und Fotos: Frank von Riman-Lipinski